Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
herausgestellt, dass sich plötzlich alle Welt für Frank Marin zu interessieren schien, der zufällig Joes Bruder war. Diese merkwürdige Sekte der Setnakhts, Xaphan und seine Gespielinnen, die Isistöchter – sie alle waren hinter diesem Mann her.
Jede Menge Zufälle, die keine sein konnten. Trotzdem war Dagan mit seinen Nachforschungen in einer Sackgasse gelandet. Überall fand er nur Andeutungen, nichts von Substanz, nichts, was ihn weiterbrachte. Er konnte auch nicht direkt zu Xaphan gehen. Sutekhs Verhältnis zum Herrn der Feuerseen war, vorsichtig ausgedrückt, nicht das beste. Sich an Isis zu wenden, kam erst recht nicht infrage. Blieb also nur ihr Brudergemahl Osiris.
Das stellte Dagan allerdings vor das Problem, wie er zu Osiris in dessen Allerheiligstes vordringen sollte. Dazu musste er an Anubis vorbei, der ihn von oben herab mit einem Blick ansah, als sei Dagan für ihn der letzte Dreck.
„Das stimmt. Ich möchte selbst etwas erfahren. Aber ich habe auch Informationen anzubieten.“ Manchmal kam man mit der Wahrheit weiter als mit Lügen und Vorwänden. „Und ich denke, dass der Wissensaustausch beiden Seiten nützt. Es gibt da eine gewisse Sekte, die Setnakhts, die uns allen gefährlich werden kann.“ Dagan trat äußerst vorsichtig auf und wählte jedes Wort mit Bedacht, denn er wusste, dass Anubis nur darauf lauerte, ihn als Frevler zu entlarven.
„Die Setnakhts sind eure Anhänger, nicht unsere“, bemerkte Anubis.
„Sie beten zu Sutekh. Das ist richtig“, entgegnete Dagan. „Aber sie tun es nur aus eigenem Antrieb heraus. Sutekh hat sich diese Anhänger nicht ausgesucht. Er hat sie auch nicht ermutigt, ihm zu dienen.“
„Er hält sie auch nicht davon ab.“
Dagan hätte fast losgelacht. Dass Sutekh jemanden daran hindern könnte, ihn zu verehren, war zu absurd. Doch Dagan zuckte bloß die Schultern. „Es ist das Recht der Sterblichen anzubeten, wen immer sie wollen.“
„Du weichst aus, Seelensammler“, tadelte Anubis ihn. „Gerade heraus: Beschützt ihr sie oder verdammt ihr sie?“
„Wir kennen ihre Motive nicht. Gut möglich, dass es keine lauteren sind.“
„Also verdammt ihr sie?“
„Nein“, antwortete Dagan gequält. Ihm war dieses Gespräch lästig. Er scheute keine Art der Auseinandersetzung. Aber diese diplomatischen Winkelzüge waren nichts für ihn. „Was soll’s? Es sind Sterbliche, die in Dingen herumpfuschen, die sie nicht verstehen. Und das kann gefährlich werden, denn es stört … das Gleichgewicht.“
Anubis’ undurchdringlich kalte Augen funkelten in dem grünlichen Dämmerlicht. „Das ist uns nicht entgangen.“ Nach kurzem Schweigen fragte er: „Was genau willst du von Osiris?“
„Ich bin auf einer Suche und brauche dafür einen Verbündeten.“
„Einen Verbündeten, Sohn des Sutekh?“, wiederholte Anubis ungläubig. Sohn des Sutekh – das klang aus seinem Mund so wie Sohn des Abschaums. Aber spielte das wirklich eine Rolle? In der Unterwelt konnte keiner dem anderen trauen. Freunde wurden hinter dem Rücken unversehens zu Feinden, die engsten Verbündeten scheuten vor keinem Verrat zurück. Machte es da einen Unterschied, sich mit dem bisherigen Gegner zusammenzutun?
Wieder entstand unbehagliches Schweigen. Dann winkte Anubis Dagan zu sich. „Tritt näher, Dagan Krayl. Du wirst gerichtet wer den.“
„Schon davon gehört“, murmelte Dagan vor sich hin und eilte die steinerne Freitreppe hinauf. Dort angekommen erwartete er ungeduldig Anubis’ Anordnungen.
„Wir beginnen. Sprich die Formeln des Glaubensbekenntnisses.“
Dagan blickte in die unergründlichen Augen des Schakals und schwieg. Die zweiundvierzig Formeln des Glaubensbekenntnisses enthielten die Versicherung, rein von allen Sünden zu sein, und dieser Schwur galt unumstößlich. Wer hier nicht die Wahrheit sagte, war verloren. Da hätte Dagan auch seine Stellung als Erstgeborener Sutekhs nichts geholfen, denn Osiris gehörte zu den wenigen, die die Macht hatten, auch einen wie ihn zu verdammen. War es das, was Lokan widerfahren war? War er mit Osiris zusammengetroffen und hatte ihn erzürnt, so sehr, dass er damit das eigene Todesurteil gesprochen hatte?
Dagan wusste es nicht – jedenfalls noch nicht. Aber er war entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Liste der dahingerafften Reaper nicht länger wurde. Abgesehen davon hätte das ganz sicher Krieg bedeutet. Wer auch immer Lokan umgebracht hatte, wollte anscheinend genau das bewirken. Denn man tötete nicht den
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