Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
er bei Hades Gehör findet. Ich will wissen, was für ein Angebot er zu machen hat. Setz ihn ans Ende der Liste.“
So gingen sie eine ganze Reihe von Namen durch, und Sutekh traf seine Entscheidungen, bis Gahiji leise murmelnd vorlas: „Abasi Abubakar, Hoher Priester der Sekte Setnakht, in der die Sterblichen Sutekh verehren. Der Mann hat eigens sein Leben dafür hergegeben, vor dich treten zu können.“
Sutekh blickte in eine dunkle Ecke der Halle, in der Lokan saß, sein jüngster Sohn. Lokan war so etwas wie Sutekhs Gesandter in den Fremdländern. Bei deren Fürsten war er dann derjenige, der in der langen Schlange der Bittsteller stand. An diesem Tag hatte Lokan keinen Auftrag zu erfüllen, und so saß er im Hintergrund und schaute seinem Vater bei dessen Geschäften zu.
Obwohl niemand gewagt hätte, es auszusprechen, wusste Gahiji, dass es in Sutekhs Reich etliche gab, die sich über die Hierarchie am Hofe wunderten und sich fragten, wieso derjüngste und nicht der älteste seiner Söhne zu seiner Rechten saß. Die Antwort darauf war denkbar einfach. Sutekhs Wahl war auf den Sohn gefallen, der diese Rolle am bereitwilligsten angenommen hatte. Lokan war begierig, von ihm zu lernen, also lehrte er ihn. Lokan war der geborene Politiker und in vielerlei Hinsicht ganz der Sohn seines Vaters.
Mit einem kaum merklichen Kopfnicken erteilte Sutekh Lokan das Wort. Der beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und fragte: „Wie ist dieser Abasi Abubakar gestorben?“
„Er hat sich sechs Unschuldige ausgewählt und sie von Angesicht zu Angesicht in einem langen Ritual mit einem geweihten Dolch getötet. Mit jedem dieser Morde hat er Sünde auf sich geladen und seine Schwarze Seele genährt. Dann hat er sich zurückgezogen und in Gebeten und Gesängen die Seelensammler beschworen, bis einer kam und ihn holte.“
„Sehr originell.“ Lokan richtete sich in seinem Sessel wieder auf. „Mich wundert nur, dass es geklappt hat. Normalerweise scheren sich die Reaper nicht um irgendwelche Beschwörungsfor meln.“
„Nein, sicher nicht. Aber Sterbliche geben normalerweise auch nicht ihr Leben, nur um eine Audienz zu erlangen. Nicht einmal eine bei mir“, stellte Sutekh sachlich fest. Er verurteilte diesen Bittsteller nicht. Es war typisch für Sutekhs Herangehensweise: Er enthielt sich einer Wertung. Er hörte sich an, was ihm vorgetragen wurde, wog nüchtern Motive und Zusammenhänge ab und bildete sich so in aller Ruhe sein Urteil. Schließlich fragte er: „Und wenn nun kein Reaper zu ihm gekommen wäre?“
„Er hatte sich zusammen mit den von ihm Getöteten allein in einem Raum eingeschlossen und unablässig gebetet. Er hat Essen und Trinken verweigert, bis er am Ende selbst dahingeschieden ist.“
Sutekh schwieg eine Weile. Vom Garten her hörte mandas leise Plätschern des künstlich angelegten Wasserfalls, der sich in den Teich ergoss, und ein Hauch von Lotusblütenduft wehte herein. Es war eine trügerische Idylle, die im Palast des Fürsten der Unterwelt und des Chaos herrschte. Dann hatte Sutekh seine Entscheidung getroffen. „Lass ihn vor“, sagte er zu Gahiji, „nach dem Mann, den Hades schickt. Dieser Sterbliche hat ein beachtliches Opfer dargebracht, und ich will wissen, was er damit bezweckt.“
Und so begann die Audienz. In einer schier endlosen Prozession wurden die ausgewählten Bittsteller vorgelassen. Mit unerschütterlicher Höflichkeit hörte Sutekh sich jedes einzelne Anliegen an. Das Ergebnis der Unterredung war meist dasselbe. Freundlich erklärte der Unterweltfürst, dass es selbst nicht in seiner Macht stehe, die Gestorbenen in ihr Leben zurückkehren zu lassen. Aber er entließ keinen von ihnen, ohne ihm als Zeichen seiner Gunst ein Geschenk mit auf den Weg zu geben: Trost für die Hinterbliebenen, Unterstützung für die zurückgelassenen Kinder und Ähnliches.
Wenn die so Bedachten ihm überschwänglich danken wollten, schüttelte Sutekh nur den Kopf und erklärte: „Ich tue das mit frohem Herzen für dich, mit dem Herzen eines wirklichen Freundes. Freunde sollen einander helfen. Und während ich das tue, wirst du ein Teil von mir werden.“ Er beobachtete sein Gegenüber aufmerksam, und seine strahlende Schönheit und seine schmeichelnde Stimme betörte sie alle. Gahiji wusste genau, was als Nächstes kam. „Ich werde dich bei mir behalten, so nahe bei mir, wie es nur möglich ist. Möchtest du das?“
Freudig stimmte der andere ihm zu.
Darauf hatte Sutekh
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