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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern es selbst bestimmen. Jetzt, mit Ko Gyi und Thar Thar, mehr denn je. Auch sie brauchten ihren Vater. Vor allem Thar Thar.
    Als Holzfäller würde er durch die Provinzen reisen und Wochen, wahrscheinlich Monate unterwegs sein. Wie oft würden sie sich sehen? Zweimal im Jahr? Dreimal? Allein die Vorstellung war unerträglich. Sie spürte, wie der Druck in ihren Augen wuchs. Wie sich ihr Herz zusammenzog.
    »Nein, das will ich nicht«, flüsterte Nu Nu. Er sollte nicht merken, dass sie zu weinen begann.
    »Haben wir eine Wahl?«
    »Wir könnten mitkommen.« Einen Augenblick lang flackerte ihre Stimme vor Freude.
    »Mit den Kindern von Dorf zu Dorf ziehen?«
    »Warum nicht?« Sag nicht Nein. Bitte nicht. Sag Vielleicht.
    »Mein Schatz, ich werde nie lange irgendwo bleiben. Ich werde in Wäldern arbeiten und durch das ganze Land fahren. Wie stellst du dir das vor?«
    Als sie nichts entgegnete, fügte er hinzu: »Außerdem musst du dich hier um die Tomaten und das Feld kümmern. Auch als Holzfäller verdiene ich nicht viel.«
    »Warum machst du es dann?«, erwiderte sie trotzig.
    Als wäre es seine Schuld.
    Nu Nu suchte nach einer Lösung. Irgendeiner. Alles war besser, als hier allein mit ihren Söhnen zu leben.
    »Wir könnten Ko Gyi und Thar Thar zu den Mönchen ins Kloster geben«, platzte es plötzlich aus ihr heraus.
    »Sie sind fünf und sechs Jahre alt! Viel zu klein, um …«
    »Wir könnten es für ein paar Monate versuchen«, unterbrach sie ihn in ihrer Verzweiflung. »Und wenn es nicht …«
    »Nein.«
    Doch. Doch. Doch. »Vielleicht nur einen von …«
    »Nu Nu!«
    »Warum nicht?«
    » Weil, weil …« Er schaute sie an, die Stimme brach ihm weg.
    Im Schein des Feuers blickte sie in sein Gesicht.
    Maung Seins Augen waren rot unterlaufen, sein Gesicht zu einer Grimasse verzogen.

13
    E r hatte ihnen nicht AufWiedersehen gesagt. Ein weißer Transporter war noch vor Sonnenaufgang gekommen, um ihn und einen anderen Mann aus dem Dorf zu holen, und Maung Sein hatte seine Söhne nicht wecken wollen. Am Abend zuvor hatte er es nicht übers Herz gebracht, sich zu verabschieden.
    Nu Nu begleitete ihn mit zitterigen Knien zum Brunnen in der Mitte des Dorfes, wo der Wagen wartete.
    Sie sagten nicht viel zum Abschied. Beiden war nicht nach Reden zumute. Pass auf dich auf. Du auch. Ich liebe dich. Ich dich auch. Komm bald wieder. Mach ich. Versprochen.
    Maung Sein kletterte auf die Ladefläche des verbeulten Autos, verstaute das Bündel mit seinen wenigen Sachen zwischen seinen Füßen und starrte zu Boden.
    Nu Nu machte einen Schritt auf ihn zu. Es kostete sie ihre ganze Kraft, nicht zu ihm in den Pick-up zu steigen. Und sie spürte, wie diese Kraft schwand. Schon stand sie neben ihm und hielt sich an der Ladeklappe fest.
    Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung, Nu Nu lief nebenher, ließ nicht los. Ihr Mann saß keinen Meter von ihr entfernt. Noch konnte sie aufspringen.
    Maung Sein hob den Kopf. Ein flehender, verzweifelter Blick.
    Es war der Moment, in dem für Nu Nu zur Gewissheit wurde, was sie seit der Geburt Thar Thars bereits ahnte: dass ihr Glück nicht unbegrenzt war.
    Sie ließ das Blech los, machte noch ein paar Schritte und blieb stehen. Bald hatte die Dunkelheit den Wagen verschluckt.
    Als sie den Kindern am Morgen erzählte, dass ihr Vater für viele Wochen verreist war und sie noch nicht wisse, wann er wiederkomme, glaubte Thar Thar ihr nicht.
    Ob er heute Abend wieder da sei, wollte er wissen.
    Nein, in ein paar Wochen, wiederholte Nu Nu. Frühestens.
    Ob er ins nächste Dorf gegangen sei, um etwas zu besorgen?
    Nein.
    Zum Arbeiten aufs Feld?
    Nein, erwiderte sie seufzend. Ein Auto hätte ihn abgeholt. Er sei weg. Weit weg.
    Thar Thar aß in Ruhe seinen Reis und blickte seine Mutter an, als erzähle sie von einem Nachbarn.
    Eine halbe Stunde später war er verschwunden. Er war weder im Hof noch im kleinen Hühnerstall zu finden, wo er sich sonst gern versteckte. Sie wartete eine Weile in der Hoffnung, er wäre irgendwo spielen gegangen. Nachdem er auch gegen Mittag noch nicht wieder aufgetaucht war, hielt sie im Dorf nach ihm Ausschau. Von den Nachbarn hatte ihn niemand gesehen. Sie ging mehrmals zum neuen Brunnen und zum alten, ausgetrockneten. Sie lief zu den beiden Teichen außerhalb des Dorfes und fragte bei den Mönchen im Kloster. Am Abend war die halbe Nachbarschaft unterwegs, doch von Thar Thar fehlte jede Spur. Was konnte ihm zugestoßen sein? War er beim

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