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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Spielen vom Baum gefallen und lag irgendwo mit gebrochenen Beinen? War er trotz ihres ausdrücklichen Verbots in eine der nicht weit entfernten Höhlen geklettert und fand nicht mehr heraus? Oder hatte ihn einer der streunenden Köter angefallen? Erst im vergangenen Monat war ein Kind im Nachbardorf das Opfer eines tollwütigen Hundes geworden.
    Sie verbrachte eine lange, schlaflose Nacht.
    Am nächsten Morgen fanden ihn Bauern am Rande des Feldes, das die Familie bewirtschaftete. Er schlief im Unterstand, den sein Vater ihm gebaut hatte.
    Nu Nu erklärte ihren Söhnen noch einmal, dass Maung Sein nun nicht mehr als Bauer arbeitete, sondern Bäume fällte und weit weg war und irgendwann wiederkomme. Thar Thar glaubte ihr noch immer nicht. Bäume gab es auch hier. Zum Bäumefällen musste er nicht verreisen. Er suchte eine Woche lang im ganzen Dorf nach ihm, ging von Haus zu Haus und fragte jeden, den er traf, ob er seinen Vater gesehen hätte oder wisse, wo er sei. Nachdem er sich überzeugt hatte, das Maung Sein tatsächlich aus rätselhaften Gründen verschwunden war, zog er sich zurück. Nu Nu hatte befürchtet, er würde aus Wut und Trotz noch rebellischer und impulsiver werden, doch das Gegenteil war der Fall. Thar Thar verstummte.
    Er stritt nicht mehr mit seinem Bruder.
    Er gab keine Widerrede.
    Er schlief viel und hatte keinen Appetit.
    Während Nu Nu und Ko Gyi gemeinsam aßen, hockte er am liebsten im Hühnerstall und begnügte sich später mit den Resten.
    Es zog ihn nicht fort, im Gegenteil, am Tage saß er oft schweigend im Hof und schnitzte an einem alten Baumstumpf. Stundenlang.
    Nu Nu betrachtete sein Verhalten mit Sorge, doch insgeheim war sie erleichtert. Sie genoss die Ruhe, die er ihr ließ, und die Zeit, die sie mit Ko Gyi verbrachte. Seine Anhänglichkeit half ihr, die Sehnsucht nach ihrem Mann zu überwinden. Wenn sie nachts erwachte und er neben ihr lag, hatte sie sogar das Gefühl, er verströme den Duft seines Vaters.
    Hin und wieder sah sie, wie Thar Thar sie aus den Augenwin keln beobachtete. Dann plagte Nu Nu ein schlechtes Gewissen, und sie fragte, ob er nicht mit ihnen essen oder zu ihnen kommen wolle, wenn sie am Feuer saßen oder im Hof spielten. Es sei doch viel schöner, wenn sie zu dritt wären. Er schüttelte nur den Kopf und schaute sie in einer Art an, die ihr so unangenehm war, dass sie ihren Blick abwenden musste.
    Eine Kinderseele weiß alles.
    Nur wenn er durch das Dorf streunte und mit anderen Kindern zusammen war, tobte er noch wilder herum als früher.
    Er kletterte auf die höchsten Bäume, sprang von Ast zu Ast oder hielt sich in der Krone fest und begann so heftig zu schaukeln, dass die Kinder unter ihm vor Aufregung schrien. Er war der Einzige, der sich in die Dunkelheit der kalten und feuchten Höhlen traute, der es wagte, von der Brücke einen Salto in den Fluss zu machen. Die älteren Jungen fürchteten ihn, weil er sich nichts gefallen ließ und keiner Rauferei aus dem Weg ging.
    Es gab keine Mutprobe, die er nicht bestand.
    Im Haus wurde er mit der Zeit zu einer Hilfe. Obgleich ein Jahr jünger als sein Bruder, war Thar Thar größer und stärker. Er hatte nicht nur die leicht gelockten Haare und die helle Haut von seinem Vater geerbt, sondern auch dessen kräftige Statur. Er würde einmal, dachte Nu Nu, ein stattlicher, gut aussehender Mann werden. Wenn sie ihn um etwas bat, half er, ohne zu murren. Er schleppte das Feuerholz aus dem Hof in die Hütte, im Wald sammelte er mit ihr Reisig. Nachdem er begriffen hatte, welches Holz sich am besten zum Entzünden eines Feuers eignete, wie man es brach und zu kleinen Haufen zusammenschnürte, ging er lieber ohne sie in den Wald, blieb lange fort und kehrte mit Armen voll trockener Zweige zurück. An den Markttagen trug er kleine, aber trotzdem viel zu schwere Körbe voller Tomaten oder Ingwer auf den Markt, während Ko Gyi noch an der Hand seiner Mutter lief. Dabei sprach Thar Thar kaum. Wenn Nu Nu ihn etwas fragte, antwortete er kurz und knapp.
    Als Maung Sein nach einem halben Jahr zum ersten Mal für zwei Wochen nach Hause zurückkehrte, war es Thar Thar, der ihn zuerst entdeckte. Er stapelte Holz unter der Veranda und hörte die Hoftür knarren. Thar Thar rührte sich sekundenlang nicht. Maung Sein breitete seine kräftigen Arme aus, sein Sohn legte das Holzscheit vorsichtig auf die Erde, ohne den Blick von ihm zu lassen. Als traue er seinen Augen nicht. Als fürchte er, ein Blinzeln könnte genügen, und sein

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