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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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am hintersten Ende des Camps. Von dort kam kaum einer zurück. Wir nannten sie das Sterbehaus.
    Unser Alltag war eintönig. Wir machten die Wäsche der Soldaten und kochten, arbeiteten an den Befestigungen des Lagers, besserten Wachtürme aus oder vertieften Gräben, den Rest der Zeit saßen wir herum und warteten. Von den Einsätzen kehrte nur die Hälfte der Träger zurück. Höchstens.
    Eine Woche nach unserer Ankunft erhielten wir den Befehl für unsere erste Mission. Mit zwanzig anderen Trägern sollten wir zwei Dutzend Soldaten begleiten, die einen Außenposten mit Munition und Proviant versorgen mussten, der zwei Tagesmärsche entfernt lag.
    Wir brachen in der Morgendämmerung auf. Ich schleppte einen fünfundzwanzig Kilo schweren Sack Reis, Thar Thar eine noch schwerere Kiste mit Handgranaten. Er war der Größte und Kräftigste von uns, selbst den hochgewachsenen Oberst überragte er noch um einige Zentimeter.
    Unser Weg führte nach wenigen Hundert Metern direkt in den Wald. Trotz der frühen Stunde war es dort warm und feucht, nach kurzer Zeit klebten Hemd und Longy schweißgetränkt am Körper. Hungrige Mücken umschwärmten uns, ließen sich nicht verscheuchen. Wir folgten einem Trampelpfad, der uns immer tiefer in den Dschungel führte. Es waren vielleicht zwei Stunden vergangen, da hatte ich das Gefühl, nicht mehr weiterzukönnen. Schulter und Beine taten fürchterlich weh, wir gingen barfuß, meine Füße bluteten, weil ich auf einen Zweig voller Dornen getreten war. Was wusste ich damals von den Grenzen meiner Kräfte?
    Thar Thar lief dicht hinter mir und sah meine Erschöpfung. Er sprach mir Mut zu, ich würde es schaffen, es sei nicht mehr weit, wir würden bald eine Pause machen. Wenn uns niemand beobachtete, schulterte er für kurze Zeit meinen Reissack.
    Die Soldaten befahlen uns, abwechselnd voranzugehen. Sie folgten den ersten drei, vier Trägern in einigem Abstand, die Maschinengewehre immer im Anschlag. Ihre Angst war mindestens so groß wie unsere. Sollten wir in einen Hinterhalt geraten, war hier im Dschungel ihre Überlebenschance kaum größer als die ihrer Träger.
    Als ich an der Reihe war, zitterten mir die Beine. Mit jedem Schritt konnte ich auf eine Mine treten. Ich fühlte mich wie gelähmt, unfähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ein Soldat wedelte bedrohlich mit seiner Waffe und brüllte, ich solle mich beeilen. Ich warfThar Thar einen ängstlichen Blick zu. Er trat vor und sagte, er würde an meiner statt als Vorhut gehen. Die Soldaten schauten ihn ungläubig an. Ein Wahnsinniger? Eine Falle? Ein Fluchtversuch? Wer war so verrückt, sich freiwillig zu melden? Am Ende war es ihnen egal, wer für sie sein Leben riskierte, und Thar Thar marschierte vorweg. Er ging bedächtig, aber nicht langsam, sein Blick suchte konzentriert den Boden und das Unterholz nach Verdächtigem ab. Plötzlich blieb er stehen, ein paar Meter vor ihm war die Erde aufgewühlt. Hatte jemand etwas vergraben oder nur ein Tier nach Nahrung gesucht? Wir wichen zurück, ein Soldat feuerte einige Schüsse auf die Stelle, nichts geschah. Thar Thar ging weiter, wir folgten ihm mit einigen Metern Abstand.
    Am frühen Nachmittag erreichten wir den Waldrand, vor uns lagen Felder, auf denen der Reis kniehoch im Wasser stand, wir mussten sie durchqueren. An den Reaktionen der Soldaten sah ich, dass sie diesen Abschnitt des Weges noch mehr fürchteten als den Dschungel. Der Oberst brüllte ein paar Kommandos, jeder von ihnen nahm sich einen Träger als Schutzschild und lief dicht hinter ihm. Wir gingen auf einem Damm und hatten fast die Hälfte des Weges geschafft, als Schüsse fielen. Im ersten Moment wusste ich nicht, was geschah, dann sah ich mehrere Träger fallen, die Soldaten schrien durcheinander, wir sprangen in das Feld und suchten Schutz im Reis. Ich lag flach auf der Erde und krallte mich mit beiden Händen im Matsch fest. Nicht weit entfernt lag Thar Thar.
    Auf dem Weg über mir röchelte und stöhnte ein Träger. Ich grub mich noch tiefer in den Schlamm, sodass er mich fast bedeckte. Die Schüsse wurden weniger, irgendwann hörte ich die Stimmen von Soldaten, die uns befahlen, nach den Verwundeten zu schauen. Ich rührte mich nicht. Sie wollten nur sehen, ob die Rebellen wieder das Feuer eröffneten. Neben mir erhob sich Thar Thar und kroch auf den Weg. Ich hielt die Luft an, fürchtete mich vor dem nächsten Knall, aber alles blieb ruhig.
    Wir hatten den Soldaten als Kugelfang gedient, vier von uns

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