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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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Taxi und fahren ins beste Krankenhaus. Vorher gehe ich nicht ins Hotel, und ich steige auch in keinen Zug nach Hsipaw oder sonst wohin.«
    »Aber wir müssen …«
    »Ich meine es ganz ernst. Ich bleibe vor dem Bahnhof stehen.«
    Meine Entschlossenheit hatte ihn offensichtlich beein druckt. Er seufzte tief und schaute in den Abend. Draußen wurden die Straßen breiter, mehr und mehr Menschen waren unterwegs, Häuser und Lichter nahmen zu. Wir näherten uns Mandalay.
    »Warum hast du eigentlich keinen Reisepass?«, wollte ich wissen.
    »Wozu brauche ich einen Reisepass?«, fragte er zurück.
    »Um mich zu besuchen, zum Beispiel.«
    »Da hast du recht.«
    »Besorgst du dir einen, wenn wir zurück sind?«
    »Mal sehen.«
    Ich war enttäuscht. »Würdest nicht gern einmal zu mir nach New York kommen?«
    »Natürlich.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Aber es ist eine lange, beschwerliche Reise.«
    Als wir wieder auf unseren Plätzen saßen, fielen U Ba noch einmal kurz die Augen zu. Ich betrachtete ihn und empfand eine große Zärtlichkeit.
    Es gab nur wenige Menschen, denen ich mich so nah und vertraut fühlte. Er war so ohne Arg, ohne jede Berechnung. Was sollte ich tun, wenn sich hinter seinem Husten wirklich etwas Ernstes verbarg? Mich beschlich eine nagende Angst um ihn, die Vorstellung, ihn zu verlieren, war mir in diesem Moment unerträglich.

2
    D as Mandalay General Hospital lag nur zwei Straßen blocks vom neuen Hauptbahnhof entfernt. Ein Betelnuss verkäufer wies uns den Weg, ich schnallte meinen Rucksack fest und nahm meinem Bruder die Tasche ab, was er zu meiner Überraschung ohne Widerspruch geschehen ließ.
    Vor dem Krankenhaus ging es zu wie auf einem Markt. An mehreren Ständen wurden Bananen, Ananas, Kokosnüsse und Mangos angeboten, es gab auch Getränke, Zeitschriften und Bücher. Im Licht nackter Glühbirnen standen Passanten und lasen. Dazwischen warteten Rikschafahrer und Taxis auf Kun den. Ein junger Mann kam auf mich zu, die Hände voll frisch geflochtener Kränze aus Jasminblüten. Er reichte mir einen, und dessen intensiver, leicht süßlicher Duft stieg mir sofort in die Nase.
    »Du magst den Duft von Jasmin?«, fragte mein Bruder.
    »Ich liebe ihn«, erwiderte ich und suchte nach einem Geldschein, doch der junge Mann winkte lächelnd ab und verschwand in der Menschenmenge.
    Auf der Straße vor zwei voll besetzten Garküchen waren ein Dutzend Klapptische und Plastikhocker aufgestellt, über lodernden Feuern simmerten Currys, auf einem Grill lagen Spieße mit Fleisch und Pilzen und Paprika.
    U Ba blieb kurz stehen und schaute einer Gruppe von Männern zu, die auf einem selbst gebauten Brett mit Kronkorken eine Art Dame spielten. Einer von ihnen war an den Beinen, Armen, Händen, selbst am Hals tätowiert.
    »Was ist mit ihm?«, fragte ich flüsternd.
    »Die Tätowierungen schützen ihn vor bösen Geistern«, erwiderte U Ba.
    Ich zog ihn weiter, wir gingen über den Hof des Hospitals und betraten einen großen Raum, eine Art Notaufnahme, und für einen ersten, langen Moment zweifelte ich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, mit meinem Bruder ins Krankenhaus zu gehen.
    Es war heiß und stickig und stank. Unter der Decke drehten sich träge zwei Ventilatoren. Grelles Neonlicht beleuchtete den überfüllten Raum, die Menschen kauerten auf Stühlen, manche zu zweit auf einem, andere lehnten an der Wand, saßen auf dem Boden oder hatten auf den Fliesen eine Decke ausgebreitet und sich darauf gelegt. Mütter hielten ihre Säuglinge im Arm, ein Kind weinte leise. Einige musterten uns kurz, die meisten waren zu müde, erschöpft oder krank, um uns Beachtung zu schenken.
    Mein Bruder fühlte sich sichtlich unwohl, er blieb hinter mir zurück, lehnte sich an eine Säule neben dem Eingang und machte keine Anstalten, etwas zu unternehmen. Ich begab mich auf die Suche nach einem Arzt, stieg über Kranke hinweg, trat versehentlich auf ein Bein, jemand stöhnte auf, ich entschuldigte mich sogleich mehrfach, ging weiter, sprach eine Krankenschwester an, die mir aufmerksam zuhörte, lächelnd nickte und wieder verschwand, ohne etwas zu sagen. Ich war mir nicht sicher, ob sie ein Wort verstanden hatte von dem, was ich ihr erklärt hatte.
    Einige Minuten später kam ein junger Arzt und winkte mich in ein Nebenzimmer. U Ba folgte uns widerwillig. Er setzte sich auf einen Hocker gleich neben der Tür. Als habe er mit der ganzen Angelegenheit denkbar wenig zu tun.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«,

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