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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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bist heute Morgen mit Kopfschmerzen aufgewacht. Der Grund kann ein Tumor in deinem Kopf sein, von dem du nur noch nichts weißt.«
    »Das sind Verspannungsschmerzen, die kenne ich.«
    »Es könnten aber auch …«
    »Ich kann auch auf dem Weg zum Bahnhof von einem Auto überfahren werden«, unterbrach ich ihn. »Darum geht es nicht.«
    »Worum dann?«
    »Dass du akute Symptome hast. Dass es bei dir … dass wir etwas tun müssen …«
    »Wir warten. Der Arzt hat es dir erklärt. Etwas anderes können wir jetzt nicht machen.«
    »Das glaube ich nicht. Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Wenn wir etwas tun könnten, hättest du dann weniger Angst?«
    »Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall würde ich mich nicht so hilflos fühlen. Abwarten und sehen, was passiert: Das ertrage ich nicht. Irgendetwas kann man immer tun.«
    »Wer bin ich, dir zu widersprechen«, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln. In seinem ironischen Unterton lag eine große Zärtlichkeit.
    Wir kamen aus zu unterschiedlichen Welten, um in diesem Punkt einer Meinung zu sein.
    »Hast du von der Stimme etwas gehört«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Selbst die Erzählung Maung Tuns hat sie nicht kommentiert.«
    »Seltsam. Ich hätte gedacht, dass sie spätestens bei der Nachricht, dass ihr Sohn noch lebt, etwas sagt. Vielleicht genügt ihr das Wissen um sein Überleben?«
    »Oder sie wartet so gespannt wie du und ich, ob wir Thar Thar finden werden.«
    In Hsipaw setzten wir uns in ein Teehaus in der Nähe des Bahnhofs. Mein Bruder bestellte burmesischen Tee und begann ein Gespräch mit dem Kellner, in das sich schnell die Gäste an den Nachbartischen einmischten. Nach einigen Minuten wandte er sich zufrieden wieder mir zu.
    »Sie kennen ihn alle. Er lebt mit einem Dutzend Kindern und Jugendlichen in einem alten Kloster, das lange leer stand. Es liegt einige Kilometer von hier Richtung Namshaw. Wir müssen der Hauptstraße folgen und bei einer weißen Pagode rechts abbiegen. Der Kellner bringt uns mit seinem Mo ped hin.«
    Eine halbe Stunde später zwängten wir uns zu dritt auf eine Honda Dream II; ich saß hinten, unsere Tasche klemmte zwischen U Ba und mir. Der Kellner gab Gas, die ersten Meter schlingerten wir in einem wilden Zickzack über die Straße, bis er endlich die Kontrolle über das Moped gewann. Kurz hinter dem Ort bogen wir bei der weißen Pagode in einen Feldweg ein. Ich rutschte vor Aufregung auf meinem Sitz so unruhig hin und her, dass der Fahrer Mühe hatte, das Moped auf dem weichen Weg in der Spur zu halten. Waren wir kurz davor, Thar Thar zu treffen? Wie mochte er aussehen? Würde er überhaupt mit uns reden wollen? Hatte er die Hölle im Dschungel wirklich überlebt? Welche Spuren hatte diese Zeit in ihm hinterlassen? Die Entscheidung Nu Nus? Der frühe Tod des Vaters? Was für ein Mensch würde uns begegnen? Was war aus Ko Bo Bo geworden?
    Wir erklommen einen Hügel und sahen das Kloster schon von Weitem, ein großer dunkler Holzbau, auf Pfählen stehend, mit Blechdach und mehreren Türmchen, an deren Giebeln Glöckchen und Fähnchen hingen. Es lag von Bäumen umgeben und wie beschützt von einem großen Bambushain, der selbst die Turmspitzen um viele Meter überragte.
    Der junge Kellner hielt an und zeigte darauf, als wäre dies der letzte Moment, an dem wir noch umkehren könnten. U Ba hustete kurz, gab ihm ein Zeichen, und wir rollten den Hügel hinunter.
    Wenige Minuten später fuhren wir in einen sandigen Hof ein, begrüßt von zwei bellenden Hunden und Dutzenden laut gackernder Hühner, die aufgeregt herumrannten. Wir stie gen ab, der Fahrer wendete, wir bedankten uns, doch meinen Versuch, für die Fahrt zu bezahlen, unterband mein Bruder schon im Ansatz.
    »Er freut sich, dass er uns einen Gefallen tun konnte.«
    Wir schauten uns neugierig um. Der Hof war umwachsen von Beeten und Hecken, die in den schönsten Farben blühten. Ich sah Rosenbüsche, gelbe und rote Hibiskussträucher, Oleander, lila Bougainvilleen, Gladiolen und Amaryllen.
    Das Kloster selbst war in keinem guten Zustand. Viele der Pfähle sahen morsch aus, an mehreren Stellen waren Bretter aus den Wänden gebrochen, brauner Rost zerfraß das Wellblechdach, ein Flügel des Hauses war halb eingestürzt. Eine breite Treppe mit schiefem Geländer führte zum Eingang hoch. Im hinteren Teil des Hofs hingen auf einem Bambusgerüst rotbraune Mönchskutten zum Trocknen. U Ba rief etwas, doch es kam keine Antwort. Die Hühner und Hunde hatten

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