Herzgespinst - Thriller
deine Sitze nicht versaust«, rief ihm Oliver hinterher.
Anstelle einer Antwort zeigte ihm Tom den Mittelfinger und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
»So habe ich mir den heutigen Abend nicht vorgestellt«, stellte Shiva sachlich fest. »Musste das unbedingt sein? Du bist doch gar nicht so der Schlägertyp. Ganz ehrlich – ich habe überhaupt nicht kapiert, um was es überhaupt ging.«
Oliver betastete vorsichtig seine Schläfe. »Was gibt es da nicht zu verstehen? Die haben es nach der Sache mit Julia tatsächlich gewagt hier aufzuschlagen, als wäre nichts geschehen. Und dann wurden sie auch noch frech. Hast du das nicht gehört?«
Shiva schwieg einen Augenblick. »Wird denn Anklage gegen Luis erhoben? Also, vom Staatsanwalt?«, fragte sie.
Oliver zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Es steht wohl Aussage gegen Aussage. Es gibt weder Augenzeugen noch zündende Beweise.«
Shiva nickte nachdenklich. »Aber du bist dir sicher, dass es Luis war.«
Oliver runzelte die Stirn. Das hätte er besser nicht tun sollen. Sein Kopf explodierte beinahe. Er stöhnte vor Schmerzen laut auf.
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte Shiva erschrocken.
Oliver verneinte. »Quatsch. Das wird gleich besser.« Er versuchte zu lächeln.
»Am besten, ich bringe dich nach Hause«, sagte Shiva entschlossen. »Bei mir kannst du ja ausgerechnet heute nicht schlafen, weil Siri da ist. Echt blöd.« Sie seufzte auf.
»Ich wohne doch gar nicht mehr bei meiner Mutter«, erinnerte sie Oliver. »Ich bin heute schon mit ihrem Verlobten zusammengekracht.«
Shiva strich ihm behutsam über den verschwitzten Kopf. »Also, dein Glückstag scheint heute nicht zu sein. Wo hast du denn deine Sachen?«
Oliver machte einen neuen Versuch aufzustehen. »In der Scheune, die mal Julias Vater gehört hat. Sie wird seit seinem Tod nicht mehr benutzt. Ich habe vor ein paar Tagen schon einmal dort geschlafen. Das geht prima.«
Shiva verzog den Mund. »Ohne Julia geht es ja anscheinend wirklich nicht.« Sie konnte einen leicht spöttischen Tonfall nicht unterdrücken. »Wie kommst du denn dorthin?«
»Rennrad«, sagte Oliver und versuchte sich darauf zu konzentrieren, gerade stehen zu bleiben.
Shiva schüttelte den Kopf. »Das geht ja gar nicht. Du hast mindestens eine leichte Gehirnerschütterung, da kannst du nicht aufs Rennrad steigen.«
Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. »Ich weiß was. Du könntest in Mattis Wohnwagen auf der Luftmatratze schlafen. Ich habe das Gefühl, dass er dich echt gut leiden mag. Dann müssen wir jetzt aber sofort los. Nach einem Boxkampf geht er immer gleich ins Bett.«
Sie legte seinen Arm auf ihre Schulter, um ihn besser stützen zu können.
»Das trifft sich gut«, sagte Oliver und verzog seine geschwollenen Lippen zu einem vorsichtigen Grinsen. »Ich nämlich auch.«
Sie setzten sich gemeinsam in Bewegung.
Plötzlich musste Shiva kichern. »Du bist echt bescheuert, Olli. Wie kann man sich nur selber so den Abend verderben? Ich bin gespannt, was Matti dazu sagt.«
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie endlich bei Mattis Wohnwagen ankamen. Immer wieder mussten sie zwischendurch stehen bleiben.
Als Matti Oliver erblickte, lachte er erst einmal minutenlang. Eigentlich hätte Oliver gerne mitgelacht, denn Matti, der heute Abend fünf Boxkämpfe hinter sich gebracht hatte, sah ähnlich aus wie Oliver.
Aber leider kriegte Oliver in seinem verschwollenen Gesicht nicht mehr das kleinste Grinsen zustande.
»Daran gewöhnt man sich«, sagte Matti und zog zum Beweis eine schreckliche Grimasse. »Wenn du dich so gerne schlägst, kannst du dein Praktikum gerne in unserer Boxbude machen«, witzelte er. »Wir brauchen noch dringend einen Prügelknaben.«
Oliver stöhnte laut auf. »Auf gar keinen Fall«, lehnte er Mattis Vorschlag ab. »Ich beschäftige mich erst mal lieber mit Flohzirkus oder so.«
Nachdem Matti das Bettlager aufgebaut hatte, küsste Shiva Oliver zart auf seine aufgeplatzte Lippe zum Abschied.
»Warte«, sagte Oliver, bevor sie in ihren eigenen Wohnwagen verschwinden konnte.
»Ich war echt ein Idiot«, gab Oliver unumwunden zu. »Ich habe uns heute den Abend gründlich versaut.« Er holte die Bernsteinkette aus seiner Hosentasche, die er den ganzen Tag bei sich getragen hatte.
»Die Kette habe ich schon ganz lange und sie war immer für ein ganz spezielles Mädchen bestimmt«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er die Kette um ihren Hals befestigte. Sein Herz schlug laut und
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