Herzgesteuert: Roman (German Edition)
schlechtem Gewissen vergehen. Und Fanny wird mich vermutlich später nicht mehr angucken. Weil ich sie in den entscheidenden Momenten ihres Lebens im Stich gelassen habe.
Aber solche private Details haben in meinen Geschäftsgesprächen nichts verloren.
Wir verabreden ein Treffen am Wörthersee nach Weihnachten, und ich verspreche, bis dahin alles Nötige in die Wege geleitet zu haben. Nachdem wir uns frohe Weihnachten gewünscht und die besten Grüße für die Familie ausgerichtet haben, legen wir auf.
Kurz darauf sitze ich schon im Auto. Der Stadtverkehr wälzt sich wegen des vorweihnachtlichen Staus träge durch die Straßen. Na, ob das heute noch was wird?! Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe.
Ich habe ihn! Ich habe den solventen Käufer an der Angel!
Nun gilt es nur noch, alles professionell vorzubereiten.
Die Immobilie muss besichtigt, ein Exposé muss verfasst werden, ich muss mir die alleinigen Vermittlungsrechte sichern und einen Notartermin vereinbaren. Das alles ist heute nicht mehr zu schaffen. Ich werde die Nacht in Kärnten verbringen müssen! Mist! Aber Fanny wird es verstehen. Noch einmal versuche ich, sie übers Handy zu erreichen, aber sie geht nicht dran.
Immer wieder hat Fanny mir in letzter Zeit von ihrem Chorkonzert vorgeschwärmt, mir ihren Part daraus vorgesungen. Ich habe sogar ihre Übungs-CD im Wagen.
Mit gemischten Gefühlen lege ich sie ein. Mir kommen die Tränen. Es klingt so … weihnachtlich, so feierlich. Gar nicht nach der Hektik und dem Terminstress, denen ich mich schon wieder ausgeliefert habe.
Mit einem Blick in den Rückspiegel stelle ich fest, dass mein sorgfältig aufgelegtes Make-up in Gefahr gerät, wenn ich jetzt weiterheule.
Nein, das war keine gute Idee. Kurzerhand lasse ich die CD wieder auswerfen, und sofort meldet sich der Verkehrsbericht. Überall ist Stau zu erwarten, wegen Schneefalls, Glatteis und überfrierender Nässe und wegen der beginnenden Weihnachtsferien.
Na toll.
Im Schritttempo schiebe ich mich die Maxglaner Hauptstraße entlang, um an der Anschlussstelle Flughafen auf die Autobahn Richtung Villach zu fahren.
Meine Hände umklammern das Lenkrad. Heute Abend kommen die Eltern aller Kinder. Nur von Fanny nicht.
Noch könnte ich umkehren!
Noch könnte ich ganz normal in die Stadt zurückfahren und heute Abend in Fannys Konzert sitzen!
Entschieden schüttele ich den Kopf.
Nein. Das geht nicht.
Das geht einfach nicht!
Ich habe seit Monaten endlich wieder einen richtig dicken Fisch an der Angel, alles ist eingetütet, und ich muss da heute hin ! Ich kann diese Sache unmöglich schleifen lassen! Es geht um Stunden!
Das ist in meinem Beruf nun mal so.
Da hilft auch keine mütterliche Gefühlsduselei!
Endlich nähere ich mich dem Flughafen, wo der Verkehr sich hoffentlich aufteilt. Hier stehen Hunderte von Bussen, um die skandinavischen, englischen und russischen Feriengäste, die mit billigen Charterflügen angereist sind, in ihre Skiorte zu bringen. Oje. Die werden die Autobahn zusätzlich verstopfen. Die fahren ja unglücklicherweise alle in dieselbe Richtung!
So ein Mist! Warum müssen bei denen ausgerechnet heute die Ferien anfangen? Der Kerl vor mir scheint auch alle Zeit der Welt zu haben!
» MANN, FAHR DOCH! GRÜNER WIRD’S NICHT «
Der Schneeregen nimmt mir die Sicht. Und meine Tränen auch. Ich schalte den Scheibenwischer auf Schnelllauf. Knirschend verteilt er die pappigen Flocken auf meiner Windschutzscheibe. Ich schalte das Gebläse an, weil mir so kalt wird. Sofort beschlägt die Scheibe, und ich sehe nichts mehr. Verdammt! Ist die Ampel da vorne jetzt wieder rot oder kann ich doch noch … Ich muss irgendwie zu Potte kommen hier! Reflexartig gebe ich Gas.
Rums! Ein knirschendes Geräusch ist zu hören und das Splittern von Glas. Die Sicherheitsgurte reißen mich in meinen Sitz zurück.
Oh, verdammt! Oh, verfluchte, verfluchte Scheiße! Haben sich denn alle gegen mich verschworen!? Ich bin doch jetzt nicht in meinen Vordermann reingefahren?
Entsetzt reiße ich die Tür auf. Und was ich sehe, lässt meine Knie weich werden: Ich habe den Kleinwagen vor mir fast platt gemacht! Zum Glück ist dem Bäuerlein, das fassungslos aussteigt, nichts passiert. Aber jetzt muss ich auch noch am Unfallort bleiben und auf die Polizei warten! Auch mein eigener Wagen hat eine dicke Beule – es ist zum Wahnsinnigwerden!
»Es tut mir leid, es tut mir so leid!« Entschuldigend hebe ich die Hände und gehe auf den armen Mann zu.
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