Herzgesteuert: Roman (German Edition)
ganzer Körper schlottert wie Espenlaub.
Keine Panik. Ich muss jetzt ganz ruhig bleiben. Vielleicht tut er mir nichts. Wenn er mich vergewaltigen wollte, wäre er längst reingekommen.
Bewahr einen kühlen Kopf, Juliane. Er hat sich genauso erschreckt. Er hat nicht mit dir gerechnet! Er wähnte sich ungestört!
Mist, wo ist mein Handy? Wo ist mein Handy? In der Handtasche, draußen, im Schlafzimmer, auf dem Bett. Kann ich … soll ich …
Mir dröhnen die Ohren, während ich mit offenem Mund auf das lausche, was sich hinter Fannys Zimmertüre tut. Versucht er aus dem Fenster zu klettern? Nackt?
Dann lausche ich in Richtung Schlafzimmer.
Der Anrufbeantworter labert immer noch. Mit dem Ellbogen stoße ich die Tür zu, um diesen überflüssigen Stressfaktor schon mal auszuschließen.
So. Jetzt stehe ich hier im Bad und werde mit diesem Einbrecher schon fertig werden. Bewaffnet bin ich schließlich. Bis unter die Zähne.
Ich lausche erneut. Doch das Prasseln der Dusche macht es mir unmöglich, ein Geräusch aus dem Kinderzimmer wahrzunehmen.
Minuten bleibe ich in meiner Habtachtstellung und starre auf die Türklinke. Doch nichts rührt sich. Was macht er? Geht er in Deckung?
Oder nimmt er Anlauf, um die Tür einzutreten?
Schaut er womöglich … durchs Schlüsselloch?
O nein. Den Anblick meiner zitternden Wenigkeit werde ich ihm nicht gönnen. Das ist wie mit Raubtieren: Man darf seine Angst nicht zeigen. Auf Zehenspitzen schleiche ich zur Kinderzimmertür. Meine Augen fixieren den Schlüssel. Näher schleiche ich, immer näher …
Warum will denn mein Arm sich nicht heben?
Habe ich Steine daran hängen oder was?
Schließlich schaffe ich es, das Zittern meiner Hand so weit unter Kontrolle zu bekommen, dass meine Finger den Schlüssel berühren. Ich spüre ihn nicht, er ist weder kalt noch hart. Wie in Trance drehe ich ihn im Zeitlupentempo geräuschlos um.
So.
Jetzt ist der Einbrecher ausgesperrt.
Mein Herz rast, und ich lehne meinen Kopf gegen die Tür, um erneut zu lauschen.
Die Dusche prasselt ungerührt weiter, und Dampfschwaden haben inzwischen den Spiegel eingehüllt.
Ich zwinge mich, die drei Schritte zur Dusche zu gehen und sie mit zitternden Fingern abzudrehen.
Stille.
Nichts rührt sich.
Entschlossen schnappe ich mir ein Handtuch und schlinge es mir um den Körper, wobei ich mir mit der Nagelschere in die Hüfte pikse.
»Autsch!« Die Nagelschere fällt klirrend zu Boden, ich kann gerade noch zur Seite springen. Gott, was bin ich am Zittern.
Der Schmerz lässt mich langsam wieder zu mir kommen.
Gebannt starre ich auf die Kinderzimmertür.
Wie konnte dieser Mann hier reinkommen? Ich hab doch alles perfekt zugesperrt, wir haben doch sogar heute Morgen noch die Alarmanlage eingeschaltet, Fanny und ich! Es ist eine Zahlenkombination, die Fannys und meine Geburtsdaten enthält. Außer uns, der Putzfrau und Christiane weiß sie niemand.
Durch die plötzliche Stille im Bad wird die Situation nur noch unheimlicher.
Meine Zunge klebt am Gaumen, und meine Beine geben nach. Ich sinke auf den Badewannenrand. Wie lange ich dort untätig verharre, weiß ich nicht.
Plötzlich klopft es von innen zaghaft an die Tür.
Ja, spinnt denn der? Will der ernsthaft wieder rein und klopft noch höflich an?
Entschuldigung, dürfte ich Sie jetzt bitte vergewaltigen? Ich habe auch nicht alle Zeit der Welt?
Mir bricht der Schweiß aus, in kleinen Strömen schlängelt er sich über Stirn und Wangen. Ein Tropfen bleibt am Kinn hängen, bevor er mir in einem dünnen Rinnsal zwischen den Brüsten herunterläuft. Es ist ja auch schwül wie im Regenwald hier drin.
Ich kann nichts sehen. Der Nebel hat mich völlig eingehüllt.
O Gott. Das ist doch kein Hitchcock-Film hier. Wie hieß gleich noch dieses Wesen, das unter der Dusche erstochen wurde? Von einem Irren.
Der Irre in Fannys Kinderzimmer möchte jedenfalls wieder rein.
Warum haut der nicht ab?
Warum klopft der?
Durch die sich lichtenden Nebel irrt mein Blick suchend im Badezimmer umher, und ich zucke ein zweites Mal zusammen: Da liegt ein Toter! Da in der Ecke, neben dem Wäschepuff!
Ein schriller Schrei entfährt mir, und ich fasse mir instinktiv an den Hals. Meine Halsschlagader pulsiert so stark, dass ich fast ohnmächtig werde.
Ich starre auf diesen Haufen Klamotten, der da zusammengekrümmt auf dem Boden liegt. Ich erkenne Arme – oder Beine? Diese Gestalt ist ja entsetzlich zugerichtet – aber wo ist der Kopf? Hat der Irre ihn abgehackt? Doch
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