Herzgrab: Thriller (German Edition)
Michele lag. Schließlich klappte Scatozza den Laptop zu. Er hatte den Hauptakku vollständig und den Reserveakku zur Hälfte aufgebraucht. Die Stimme des Sizilianers klang vom ständigen Übersetzen bereits rau, dabei war er es gewohnt, ununterbrochen zu reden.
Sie saßen in einem Café am Ufer des Arno, schräg gegenüber dem mächtigen alten Ponte Vecchio. Auf ihrem Tisch standen mehrere leere Gläser, die der Kellner großzügig ignorierte. Gerink hatte die interessantesten Details aus den Artikeln mitgeschrieben, die Scatozza übersetzt hatte. Wie sich nun herausstellte, waren die Del Vecchios eine der wichtigsten und einflussreichsten Familien in Florenz. Bei Gerinks Besuch in Teresas Haus in Wien hatte Monica etwas Ähnliches angedeutet – » der Clan der Del Vecchios sieht es nicht gern, wenn jemand der Familie den Rücken kehrt « . Allerdings hatte sie verschwiegen, wie mächtig die Familie war.
Matteo Del Vecchio, der 44 Jahre alt geworden war, hatte in Rom Wirtschaft studiert und war bis kurz vor seinem Tod Finanzdirektor der Borromeo-Bank gewesen, eines monströsen Bankkonzerns, der Niederlassungen im gesamten ehemaligen Ostblock hatte. Nebenbei saß er im Aufsichtsrat eines Immobiliengiganten und spekulierte privat an der Börse. Wie die Zeitung schrieb, liefen seine Geschäfte gut. Egal, was er angriff, er lag nie falsch. Einige Journalisten warfen ihm vor, Schmiergelder zu zahlen, um Insidertipps zu erhalten, doch die Korruptionsausschüsse hatten ihm in keinem Verfahren etwas nachweisen können. Ebenso wenig bei angeblichen geheimen Zinsabsprachen und einer Veruntreuung, die in die Millionenhöhe ging.
Gerink hatte Nicola, die keinerlei Starallüren an den Tag legte, nicht angemerkt, die Tochter eines derart erfolgreichen Finanzhais zu sein. Ihre Mutter stammte aus Siena, hatte ebenfalls studiert, allerdings Sprachwissenschaften, und lebte als Witwe in ihrer Villa in Florenz. Die Wochenenden verbrachte sie gelegentlich auf dem Familiensitz der Del Vecchios in San Michele.
Dank seiner wirtschaftlichen Position gab es einige Interviews von Matteo im Internet zu lesen. Obwohl er aus einer traditionsreichen und berühmten Familie stammte, hielt er sich zu familiären Fragen stets bedeckt. Seine zahlreichen Geschäftsreisen führten ihn oft nach Osteuropa. Da er Flugzeuge hasste, fuhr er die meisten Strecken mit seinem Wagen, einem Ferrari mit 570 PS . Aufgrund seiner Radarstrafen hatte er gewiss einige Teilstrecken der Autobahn zwischen Florenz und Siena, wo eine Tochtergesellschaft der Bank saß, allein finanziert. Vor einem Monat war er während einer dieser Fahrten bei einem mysteriösen Unfall ums Leben gekommen und zack, war platt wie eine Scholle! – wie Scatozza es formuliert hatte.
Das waren die Fakten.
Gerink verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte zum Arno, der gemächlich an ihnen vorbeizog. » Meinst du, T er esa wusste etwas über die Geldtransfers der Borromeo-Bank? «
» Habe auch schon daran gedacht « , knurrte Scatozza. » Aber ihr Lebensmittelpunkt in Wien ist zu weit entfernt von diesem italienischen Sumpf, in dem ihre Brüder gesteckt hatten. «
» Trotzdem – drei Punkte machen mich stutzig « , sagte Gerink. » Erstens: Warum nahm Matteo nicht wie üblich die Autobahn nach Siena, sondern fuhr über die Bergstraße? Zweitens: Warum ausgerechnet an einem Samstagabend, wenn das letzte Meeting vermutlich am Freitag stattfand? Drittens: Sein Körper war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, obwohl Autos heutzutage bei Unfällen kaum noch explodieren. «
» Nicht schlecht, Watson « , murmelte Scatozza. » Und viertens: Wo war er die drei Wochen zuvor? «
Gerink sah ihn fragend an, doch der Sizilianer grinste nur.
Obwohl sie in dem Café ohnehin niemand verstehen konnte, senkte Scatozza die Stimme. » Die Borromeo-Bank hat Jahresabschluss, und der Pressesprecher der Holding gibt Ende Februar bekannt, dass sich sämtliche Pressetermine verschieben. Matteo Del Vecchio ist für die Medien nicht erreichbar. Entweder ist er krank, und Firma oder Familie schotten ihn vor der Öffentlichkeit ab, oder er hat sich kurzfristig Urlaub genommen. «
» Ein Mann wie Matteo geht in dieser Zeit nicht auf Urlaub « , warf Gerink ein.
» Genau. Und knapp drei Wochen später, am 17. März, verbrennt er in seinem Wagen. Eine Woche später findet sein Begräbnis statt. Am 17. April wird die Leiche seines jüngeren Bruders Lorenzo gefunden. Auch er wird bestattet, kurz darauf findet
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