Herzhämmern
Bonni.
»Mann! Ich prüfe das Schlitzauge! Oder willst du es tun?«
»Wie kommt er denn da hin?«, flüstere ich Shelley zu. »Er ist doch keine Fledermaus!«
Bonni quiekt auf.
Ecke grinst dünn. »Wenn du keinen Horrorfilm erträgst, Brüderchen, solltest du ihn dir auch nicht reinziehen.«
»Du hättest ihn ja nicht mitbringen müssen«, faucht Bonni. Er dreht sich zu mir um. »Echte Fledermäuse in Nahaufnahme sind das Gräulichste, was dir bei Nacht und Nebel begegnen kann!«
Wir lachen. So lachen sie vielleicht in einer Totengruft. Um Mitternacht, wenn sich die Särge öffnen.
»Also«, sagt Ecke, »du oder ich?«
»Du«, knirscht Bonni. »Aber wenn dir die Lampe abstürzt, ersäufe ich dich auch.«
»Gott, hab ich Angst«, sagt Ecke und hängt sich die Lampe um, und ich sehe, dass er vorsichtig ist dabei.
Shelley spendet ihm Licht, als er in den Tunnel steigt. Ecke presst den Rücken an die eine Wand und die Füße an die andere. Zentimeter um Zentimeter schiebt er sich voran, unter sich das schwarze Wasser. Mir wird klar, dass das die einzige Möglichkeit ist. Ich gehe davon aus, dass sie viel Kraft erfordert.Von Mut gar nicht zu reden. Beides habe ich nicht.
Sie werden mich hier zurücklassen müssen.
Ich weiß nicht, wie ich es fertigbringe, auf meinen Beinen stehen zu bleiben und Eckes Vorankommen scheinbar gespannt zu verfolgen, während sich in mir alles vor Angst zusammenzieht. Ich sehe Shelleys vorgereckten Kopf und seine aufmerksamen Augen, die jede Bewegung im Tunnel mitmachen.
Dann ist Ecke angekommen. Er leuchtet in das Loch hinein. Seine Stimme klingt hohl. »Es ist ein Kamin. Aber unten geht’s weiter!«
»Gut«, sagt Shelley. »Komm zurück.«
»Wozu?« Ecke zwängt schon ein Bein in den Spalt.
»Ich will mit dir darüber reden, ob wir nicht doch besser umkehren!«, ruft Shelley und vermeidet es, mich anzusehen.
Ich erschrecke noch mehr. Den ganzen Weg zurück, mit allen Möglichkeiten, sich neu zu verirren - o nein. Aber der Wassertunnel und dieses Schlitzauge …
»Meine Lampe!«, schreit Bonni.
»Komm rüber, dann kannst du sie haben!« Ecke schiebt sich mühsam mit den Füßen voraus in den Spalt.
»Ecke!«, ruft Shelley.
Aber von Ecke sind nur noch Kopf und Arme zu sehen. Und die Lampe, die am Gurt um seinen Hals in zwei Metern Höhe über dem Wasser baumelt. Bonni brüllt verzweifelt, dass Ecke auf die Lampe aufpassen soll.
»Was denkst du, was ich tu?« Damit holt Ecke vorsichtig Bonnis Lampe auf die andere Seite der Öffnung.
»Ihr könnt kommen, ich steige ab!« Sein Kopf und der rechte Arm verschwinden zuletzt.
Ich bin wie gelähmt. Ich will etwas sagen, aber es kommt nichts heraus.
Shelley beißt sich auf die Lippe und schaut mich besorgt an.
»Dein Seil, Shelley …«, beginnt Bonni.
»Ja«, sagt Shelley und schaut sich suchend danach um, das schmierige braune Paket ist von den lehmigen Steinen kaum zu unterscheiden. »Nimm ein Ende mit und sichere dann Martina von drüben.«
»Aber wer sichert mich?«, will Bonni wissen.
»Niemand. Es sei denn, Ecke kommt zurück.«
Bonni schaut hinüber. Von seinem Bruder keine Spur.
»Ach was, ich probier’s.« Damit stemmt er sich schon in die Tunnelwände. »Es geht, Martina, das kannst du auch!«, verkündet er.
»Nein!«, rufe ich in Panik. »Nimm das Seil mit!«
»Das Seil behindert nur!« Bonni schiebt sich weiter.
»Im Team denkt man auch an die anderen!«, sagt Shelley scharf.
»Es geht wirklich! Hat schlimmer ausgesehen!«
»Ich könnte ihm das Licht abschalten«, murmelt Shelley.
Zum ersten Mal klingt er wirklich böse, aber er tut es natürlich nicht. So ist Shelley. »Lass ihn«, sagt er. »Ich mache das mit dem Seil nachher selbst.« Er drückt meine Schulter und lässt seine Hand für einen Moment darauf liegen.
Ich bin high. Vor Angst - und Liebe.
9
U nd plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Bonni, der sich in den Schlitz gequält hat, setzt zu einem Triumphgeheul an und rutscht in dem Moment im Kamin ab. Sein Kopf knallt gegen den oberen Rand des Schlitzauges, eine Felsnase am unteren Rand reißt ihm die Brusttasche auf, die Batterienpäckchen klatschen ins Wasser und tauchen ab, der Helm schlägt aufs Wasser, aus dem Siegesschrei wird ein Schreckensgebrüll, das nach unten fährt und von dort schaurig und unendlich durch den Kamin herauf und durch das Schlitzauge heraus zu uns dringt.
Das alles dauert nicht länger, als zwei Menschen brauchen, um sich entsetzt anzuschauen, und als
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