Herzhämmern
Atemzüge.
»Ecke?« Shelley räuspert sich.
»Hm?«, kommt es heiser aus der Dunkelheit. Ecke ist kein Bohrkopf mehr, der mit Eigenantrieb durch die Erde schießt. Ich glaube, seine Verwandlung ist das, was Bonni am meisten ängstigt, sodass er sich nicht einmal mehr zu wimmern traut.
»Wir müssen den Ausgang suchen und Hilfe holen.«
»Nein!«, schreit Bonni. »Ihr geht nicht weg! Alex weiß, wo wir sind. Er verständigt die Höhlenrettung!«
»Ja«, sagt Ecke. »Das ist das Einzige, was man tun kann, also wird er es tun.«
Shelley wartet, bis der Hall ihrer Stimmen verklungen ist. Dann sagt er langsam: »Fragt sich nur, wann.«
»Spätestens jetzt«, stößt Bonni hervor. »Unser Plan war doch, nach der Höhlentour am Abend heimzufah…«
»Jawohl«, fällt Ecke ihm ins Wort. »Außerdem hab ich sowieso gedacht, dass wir am Nachmittag wieder draußen sind.«
»Das hast du Alex aber nicht gesagt«, meint Shelley.
»Der war heute Morgen doch gar nicht ansprechbar!«, verteidigt sich Ecke.
Shelley holt Luft für etwas Unangenehmes. »Aber gestern Abend, ehe er dicht gemacht hat und nur noch auf der Tischplatte lag, hast du ihm vorgeschlagen, er soll übermorgen die Höhlenrettung verständigen, falls wir bis dahin nicht zurück sind.«
»Hey«, ruft Ecke, »der nimmt das doch nicht wörtlich, oder?«
Darüber denkt Shelley nach. Dann sagt er bedächtig: »Ich glaube schon. Der unternimmt frühestens morgen etwas. Er weiß, dass wir schon einmal vierundzwanzig Stunden in einer Höhle waren. Er hat heute bis Mittag gepennt und ist am Nachmittag ein wenig mit meinem Auto unterwegs gewesen und jetzt sitzt er wahrscheinlich in der Gaststube und wartet. Und wenn wir nicht kommen, bestellt er sich noch ein Bier. Und dann noch eins. Und dann noch …«
»Hör auf!«, schreit Bonni.
Ecke erwacht zu neuem Leben. »Wir müssen los«, sagt er.
Ich lasse mich zum ersten Mal vernehmen. »Vielleicht hat Carsten Siebert etwas unternommen.« Darauf hoffe ich, seit ich mir ausgerechnet habe, dass der Zeitpunkt, zu dem Carsten den Bus bestellt hat, bereits vorüber ist. Ein Jugendleiter muss doch dafür sorgen, dass alle Leute an Bord sind, sage ich mir, das ist seine heilige Pflicht. Oder etwa nicht?
»Wer?«, fragt Shelley.
Ich erinnere ihn daran, dass er selbst vor meinem Jugendleiter gestanden und für mich um Erlaubnis gebeten hat. Danach scheint mir sein Händedruck zuversichtlicher zu sein. Aber es dauert nicht lange, bis ihm einfällt, dass wir Alex vor Carsten Siebert gewarnt haben - er solle sich vor ihm nicht blicken lassen, damit Carsten nicht stutzig werden und nach mir fragen könne.
»Sie sind sich vielleicht trotzdem über den Weg gelaufen«, murmle ich.
»Oder dieser Carsten hat sich einfach bei der Wirtin erkundigt«, sagt Ecke.
»Natürlich. Logisch.« Shelley seufzt erleichtert. »Als mir die Wirtin den Tee kochte und die Brote schmierte, habe ich ihr gesagt, dass wir wieder eine Höhlentour machen wollen … Aber … von dir hab ich ihr nichts gesagt, Martina …«
Schon ist es vorbei mit der Erleichterung. Das Ende vom Lied ist, dass wir gar nichts wissen. Wir wissen nicht, ob Alex noch heute etwas unternehmen wird. Wir wissen nicht, ob Carsten ihn gesehen und sich an ihn gewandt hat. Wir wissen nicht, ob die Wirtin, nach mir befragt, eine Brücke zu den Höhlenmenschen geschlagen hat oder schlagen wird. Carsten, der schließlich nicht nur für mich, sondern für die ganze Gruppe verantwortlich ist, kann durchaus weggefahren sein - höchst beunruhigt und nach Hinterlegen seiner Telefonnummer und seiner Adresse. Zwei Stunden dauert die Heimfahrt und dann ruft er sofort an, erfährt nichts Neues und - geht zu meiner Mutter. Er hat doch hoffentlich meine Adresse? Kevin hat sie auf jeden Fall. Und wie wird meine Mutter reagieren?
Wir ergehen uns in Vermutungen und Befürchtungen und Hoffnungen. Ecke sagt, es ist vielleicht der größte Glückstreffer, dass sie mich auf die Tour mitgenommen haben, denn ich werde vermisst ! Was man von allen anderen nicht behaupten kann. Alex taucht öfter mal zu Hause oder an seiner Arbeitsstelle nicht pünktlich auf, Shelley lebt sowieso allein, und in seinem Betrieb wird keiner etwas unternehmen, wenn er Montag früh nicht auf der Matte steht. Ecke und sein Bruder haben Herbstferien wie ich und sind ohne genaue Zeitangabe von zu Hause weggefahren. Ihre Eltern werden sich also überhaupt nichts denken.
Bei der Erwähnung seiner Eltern bebt Eckes Stimme. Da
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