Herzhämmern
hüpft vor Vergnügen. »Sie meint den Faden der Ariadne …«
»Welchen Faden?«, sagen Shelley und Bonni wie aus einem Mund.
»Vergesst es.« Ecke schenkt mir einen vertraulichen Blick.
Ich blitze ihn an. »Ja! Vergesst es! Ein Faden wäre jedenfalls hilfreich gewesen!« Ich schäume. Die größte Wut habe ich auf Ecke.Weil er die Labyrinthgeschichte kennt und keine Schnur mitgenommen hat. Man sollte ihn dem Minotaurus zum Fraß vorwerfen.
»Recht hast du«, sagt Ecke todernst. »Hänsel und Gretel hatten Brotkrumen mit, nicht? Aber die bösen Vögel haben das Brot aufgepickt und der böse Wald war so dicht und dann kam die böse Hexe oder wie war das?«
Ich starre ihn an. Den bringe ich noch um, ist mein einziger Gedanke. Wenn er es nicht vorher selber tut.
Ich wende mich ab.
Shelley ist mit seinem Seil fertig. »Hört zu streiten auf, wir können weiter«, sagt er.
8
Z weimal sind wir jetzt schon zur Rutsche zurückgekehrt. Wir wissen nicht, wie das zuging. Ecke gibt Bonni die Schuld. Weil Bonni mit seiner Lampe vorausgeht und weil er zu dämlich sei zu merken, wann es im Kreis ginge. Ecke ist inzwischen fuchsteufelswild. Dass er mit leeren Händen hinter einem Idioten hergehen soll, macht ihn rasend . Dass er nicht frei ist und dass er keine Lampe hat.
Bonni bleibt trotzig vorn. Wer eigentlich schuld daran sei, dass der liebe Ecke keine Lampe mehr habe, hä? Das sagt er jetzt nicht mehr. Er hat es oft genug in allen Variationen von sich gegeben. Eine weitere Bemerkung dieser Art würde ihn womöglich das Leben kosten. Er stolpert stumm voraus.
Ecke sagt alle Augenblicke: »Bleib stehen! Leuchte hierhin! Leuchte dorthin! Hier waren wir schon! Verdammt, kannst du mal mit dem Licht still halten?«
Meine Lampe ist für ihn tabu. Sie leuchtet abwechselnd nach vorn und nach hinten, damit auch Shelley etwas sieht. Ich habe Eckes Hände schon ein paarmal danach zucken sehen. Ich kann verstehen, dass es ihn verrückt macht, kein Licht zu haben, aber ich entferne meine Lampe immer rechtzeitig aus seiner Reichweite. Mein Selbsterhaltungstrieb funktioniert. Er ist gepaart mit einer wahnsinnigen Angst, dass uns das Licht ausgeht, ehe wir den Ausgang finden. In meiner Lampe sind jetzt die vier Batterien aus Eckes Lampe, die ihm ohne Birne ja nichts nützen. Das war ein kritischer Moment, als mein Licht verdimmerte. Ecke wollte sich sofort auf meine Birne stürzen. Aber Shelley griff ein. Er forderte, wir sollten mit der neueren Lampe weitergehen, und das sei eben meine, Alex habe sie erst vor zwei Tagen gekauft und sie sei sicher insgesamt besser in Schuss als Eckes alte Lampe, die schon einige Höhlen hinter sich habe. Shelley streckte so lange die Hand aus, bis Ecke seine Batterien hineinschmetterte.
Bonni hat auch die Batterien auswechseln müssen. Ich habe gesehen, wie seine Hände zitterten, als er vier Ersatzbatterien aus ihrer Verpackung würgte. Kann nicht sagen, dass mir das ein gutes Gefühl gegeben hätte. Jetzt stecken noch zwei Batterienpaare in Bonnis rechter Brusttasche, die linke ist leer.
Die verbrauchten Batterien sammelte Shelley ein. »Man hinterlässt keine Spuren in einer Höhle«, sagte er.
Bonni hat mürrisch genickt. Er sieht mit seinen Haaren aus wie ein zotteliger Wikinger, ihm fehlen nur zwei Hörner am Helm. Ich selbst sehe sicher nicht besser aus, meine eigene Mutter würde mich nicht erkennen.
Um nicht in Panik zu geraten, sammle ich heimlich Trostpunkte. Erstens ist der Minotaurus nur ein Fabelwesen, sage ich mir, und zweitens sind wir sowieso nicht auf Kreta. Drittens geht Shelley hinter mir. Manchmal berühren wir uns aus Versehen, manchmal grinsen wir uns an. Schön könnte das sein, wenn die Angst nicht wäre.
Kleinere Trostpunkte gibt es natürlich auch noch: Niemand ist verletzt. Niemand fällt vor Erschöpfung um. In letzter Zeit hat es wenig geregnet, die Gänge stehen nicht unter Wasser. Im Frühjahr nämlich, weiß ich von Shelley, konnte man die Höhle nicht begehen, sie soll überflutet gewesen sein. Er muss mich tatsächlich für mutig halten, sonst würde er mir solche Sachen doch nicht erzählen. Auch das ist ein Trost: dass ich meine krankhafte Feigheit anscheinend erfolgreich verbergen kann.
Ich brauche viel Trost. Sonst kann es nämlich passieren, dass zwei Schlabberbeine unter mir nachgeben und dass ich haltlos zu schreien anfange. Manchmal bin ich nahe daran.
Deshalb habe ich zu reden angefangen. Ich habe Shelley von Martin und Gitta erzählt, meinem Vater
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