Herzklopfen für Anfänger
Ironie, gerade jetzt damit konfrontiert zu werden, wo es gar nichts mehr zu erzählen gab.
»Morgan, das ist die Wahrheit. Er ist ein Freund. Mehr nicht. Ja, ich mag ihn sehr, ich bin gern mit ihm zusammen, und ich habe mich auf gesellschaftlicher Ebene ein paarmal mit ihm getroffen. Aber als Freund.«
Sie stieß die Luft aus. »Das glaube ich dir nicht«, sagte sie. »Mum, er hat dich auf dein Haar geküsst!«
»Morgan, das hast du falsch verstanden.«
»Du hast ihn also nicht geküsst?«
»Morgan, was soll das? Natürlich nicht!«
Sie lehnte sich zurück und betrachtete mich schweigend. Dann beugte sie sich wieder vor. Ihre Pupillen waren geweitet. Hatte sie sich deshalb heute betrinken wollen? Um mit mir überhaupt darüber sprechen zu können? »Mum, du bist eine schlechte Lügnerin«, sagte sie dann. »Wenn es nicht so schrecklich wäre, fände ich das ziemlich komisch.«
Wer nicht darauf trainiert ist, auch unter Folter zu schweigen, erreicht irgendwann den Punkt, an dem er hartnäckigen Fragen nichts mehr entgegenzusetzen hat. Ich merkte, dass es bei mir bald so weit war.
»Na gut«, sagte ich schließlich. Mir war klar, dass ich viel zu viel Wein auf nüchternen Magen getrunken hatte, und dass alles, was ich sagen konnte, einem Geständnis gleichkommen würde. Aber ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte.
»Ja«, sagte ich. »Ich habe ihn geküsst. Nein, wir sehen uns nicht mehr. Es ist passiert. Es ist vorbei. Mehr gibt es nicht zu sagen. Der Fall ist erledigt.«
»Du siehst nicht so aus, als ob es dir ernst damit wäre.«
Ah, der Fall war also noch nicht erledigt. Ich erwiderte ihren fragenden Blick. »Trotzdem ist es die Wahrheit.«
»Hat er es beendet?«
»Nein, ich.«
»Weil du nur ein bisschen Spaß wolltest? Weil du ihn sattbekommen hast? Warum?«
Schon einer der beiden Gründe hätte gereicht. Ich schluckte. »Weil es das einzig Richtige war.«
Sie blickte mich befriedigt an.
»Dann ist es also noch nicht vorbei?«
»Doch, Morgan.«
»Nicht hier.« Sie legte die Hand auf ihr Herz. Es war keine Frage. Woher hatte sie nur diesen Scharfsinn? Von ihrem Vater bestimmt nicht. Ich schüttelte traurig den Kopf.
»Nein.«
»Liebst du ihn?«
»Ach, du liebe Güte, Morgan!«
»Das dachte ich mir.« Jetzt machte sie einen streitlustigen Eindruck.
»Morgan, ich möchte im Moment wirklich nicht mit dir darüber reden. Können wir eine Flasche Wasser bestellen?«
Sie hob den Arm, um dem Kellner zu winken, auf diese lässige Art, die sich nur schöne junge Frauen ungestraft leisten können, da sowieso jeder sie beobachtet.
Dann ließ sie die Hände auf den Tisch sinken. Sie trug ihren Verlobungsring, stellte ich fest. »Es ist also so schlimm, wie ich dachte«, sagte sie ernst.
»Was soll das heißen: ›So schlimm, wie du dachtest?‹ Was hast du dir überhaupt gedacht? Seit wann analysierst du jede meiner Bewegungen und …«
»Mum, ich bin nicht blöd«, sagte sie. »Ich weiß genau, wie die Dinge zwischen Dad und dir stehen.«
Das wurde immer schlimmer. »Ach ja?«
Der Kellner erschien. Morgan zeigte mit ihrer Gabel auf mich. »Mit Kohlensäure oder ohne?«
»Ohne.«
»Dann nehmen wir eine Flasche von jedem. Ja, wirklich.«
Ich trank noch einen Schluck Wein, damit mein Mund nicht völlig austrocknete. Vielleicht konnte ich vortäuschen, dass ich zur Toilette musste, und dann mit dem Bus abhauen.
»Morgan«, sagte ich ruhig. »Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.«
»Natürlich geht es mich etwas an«, sagte sie empört. »Ihr seid meine Eltern.«
»Ja, ich weiß. Aber – sieh mal, du hast einfach keine Ahnung. Ehen sind … na ja, sie sind sehr kompliziert. Es ist leicht, sich ein Bild über eine andere Beziehung zu machen oder falsche Schlussfolgerungen zu ziehen, aber wirklich wissen kannst du nichts, das versichere ich dir. Dein Vater und ich kommen gut miteinander klar, okay? Ich will gar nicht abstreiten, dass wir kein leidenschaftliches Liebespaar mehr sind. Wir sind ja auch schon lange verheiratet, und so geht es vielen Paaren. Aber deswegen ist die Ehe als Institution noch lange nicht überflüssig. Bitte, Morgan, du solltest dich damit nicht belasten, okay? Konzentrier dich lieber auf deine eigene Beziehung.«
Sie warf mir einen Blick von der Seite zu. »Ja, klar.« Jetzt klang sie wie Kate.
»Einen Rat möchte ich dir geben: Wenn du Cody heiratest, musst du dir absolut sicher sein. Ganz sicher. Denk lange und gründlich darüber nach, was du
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