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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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schüttelte den Kopf.
    »Ja, alles in Ordnung«, erwiderte ich.
    »Und Ruth?«
    »Bei Ruth auch. Nur …«
    Sie war mitten in einem Anagramm. Das Blatt Papier vor ihr war übersät von einzelnen Buchstaben in ihrer ordentlichen Handschrift. Ich wartete, während sie einen Begriff eintrug. Sie blickte auf. »Sie ist nur im Moment ein bisschen niedergeschlagen – wegen der Arbeit und weil ihr Dad so krank ist.«
    Die Lüge ging mir glatt über die Lippen, so mühelos, dass ich innerlich schwer schlucken musste. Nein, ich war wirklich nicht mehr die Person, die ich einmal gewesen war. Und ganz offensichtlich war ich auch nicht mehr die Person, für die mich alle hielten. Oder vielleicht doch. Vielleicht war ich ja im Grunde gar nicht ehrlich und vertrauenswürdig und zeigte nur mein wahres Gesicht.
    Ich setzte noch eine Lüge drauf.
    »Sie hat mich zum Abendessen eingeladen«, fuhr ich fort. »Es macht dir doch nichts aus, oder? Ich weiß, wir wollten eigentlich Fisch und Chips essen, aber, na ja … ihr Dad ist gestern nach Hause gekommen, und sie klang so, als könnte sie wirklich Gesellschaft brauchen. Ich muss im Moment einfach für sie da sein, weißt du?«
    Ich wartete darauf, dass meine Mutter beleidigt das Gesicht verzog, weil ich mir dann weniger blöd vorgekommen wäre, aber das tat sie nicht. Stattdessen nickte sie wissend und machte den Eindruck, als ob das Abendessen mit mir völlig unwichtig sei.
    »Das arme Ding. Es muss schwer für sie sein. Jack Braithwaite hatte Ende letztes Jahr eine Darmoperation. Du kennst ihn doch, oder? Na ja, vielleicht auch nicht. Schreckliche Geschichte jedenfalls. Ich meine, er hätte Morbus Crohn gehabt. Oder vielleicht einen Reizdarm?«
    Der Mann von schräg gegenüber warf meiner Mutter einen erschreckten Blick zu, aber sie merkte es nicht.
    »Es kann aber auch sein, dass es nur Polypen waren. Wie heißt das noch mal? Du weißt schon, dieses Gewächs, was die Leute kriegen. Auf jeden Fall …« Sie tippte mit ihrem Kugelschreiber aufs Papier. »Irgendetwas, das wächst. Ich muss Betty fragen – aber es ist natürlich auf jeden Fall schwierig, das arme Kind. Na ja, gut. Natürlich, Liebes. Das ist kein Problem. Weißt du was, ich setze dich bei ihr ab, wenn ich nach Hause fahre.«
    Rasch schüttelte ich den Kopf. Damit hatte ich gerechnet. Wenn man einmal anfing zu lügen, dann konnte man nicht mehr aufhören. »Das brauchst du nicht, Mum«, erwiderte ich. »Sie holt mich am Bahnhof ab, um dir die Mühe zu ersparen. Auf dem Heimweg von der Arbeit.«
    Schrecklich einfach. Und einfach schrecklich. Aber mein Herz wollte das nicht einsehen.
    »Es ist ja wirklich ein schöner Tag dafür«, stellte meine Mutter fest, als wir in Westminster aus der U-Bahn kamen. Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel über Big Ben zeigte sich strahlend blau. »Es ist eine Schande, dass du Morgan nicht überreden konntest mitzukommen. Ich habe sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
    Ich wusste eigentlich nicht, warum sie nicht mitkommen wollte. Ich dachte, sie würde gern mit uns zu Mittag essen, vor allem, weil es ihr eine Gelegenheit bot, ihre Großmutter wiederzusehen. Sie hatten sich immer sehr nahe gestanden.
    »Sie hat im Moment sehr viel zu tun«, sagte ich und führte meine Mutter über Whitehall. »Nicht nur im Büro, sondern auch sonst.«
    Morgan hatte sogar ein wenig nervös geklungen, was sonst gar nicht ihre Art war. Das lag bestimmt am Stress. Für so eine Hochzeit war viel zu organisieren. Andererseits sah es Morgan gar nicht ähnlich, sich so unterkriegen zu lassen. Nervosität und Wutausbrüche waren eher Kates Spezialität.
    »Na ja«, sagte ich dann. »Wir finden auch schon allein was für dich zum Anziehen, oder?« Wir überquerten die Straße und wandten uns in Richtung Downing Street. »So. Was müssen wir jetzt machen?«
    Wie sich herausstellte, war es überraschend einfach. Wenn man eine Petition in Downing Street Nr. 10 abgeben wollte, musste man nur einen Termin vereinbaren. Und solange man sich nicht zu schrill kleidete, Plakate trug oder Lautsprecher benutzte, war man willkommen. Den Premierminister selbst bekam man natürlich nicht zu Gesicht, aber man konnte zumindest einen Blick auf seine Haustür werfen – und meine Mutter fand das ausreichend.
    Wir traten auf den Polizeibeamten zu, der das schmiedeeiserne Tor bewachte. Zu unserer Überraschung trug er nicht nur einen Zettel mit dem Namen meiner Mutter bei sich, sondern wusste auch ganz genau,

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