Herzkurven
waren von einem Boot in der Bucht unter dem weißen Steinhaus aus geschossen worden. RF O’Rourke war als Einsiedler berüchtigt und bewachte seine Privatsphäre eifersüchtig. Er war nicht die Art von Mann, die Journalisten zu einer privaten Führung durch ihr Allerheiligstes einlädt.
»Er benutzt den Turm wahrscheinlich, um zu üben, wie man kochendes Öl auf Feinde gießt«, stichelte Danny. »Van, würdest du mir einen Gefallen tun? Wenn ich ihn umbringen muss, wirst du mir dabei helfen, die Leiche verschwinden zu lassen?«
Vanessa nickte ernsthaft. »Natürlich.« Sie entschied sich, etwas anderes nicht zu erwähnen, was sie auf der Website erfahren hatte: Ross Fabellos Geburtstag war am siebzehnten November, am selben Tag wie Dannys. Es war ein Tag, vor dem es Danny graute, das wusste Vanessa – ihr erster Geburtstag ohne ihren Zwilling.
*
»Also, was ist ein Onkel jetzt, Tante Danny?«, fragte Mia, während Danny durch die Küche kroch, Cornflakes in Schüsseln schüttete und Müsliriegel in Brotzeitdosen verteilte.
Danny hörte sie kaum. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt, die sich im Rhythmus ihres Herzschlags ausdehnte und zusammenzog.
Sie trug immer noch ihre Schlafkleidung, ein übergroßes pinkfarbenes T-Shirt unter einem orange-braunen Bademantel, und grau-rosafarbene Pantoffeln, auf denen in verblasster schwarzer Schrift
Heißer Feger
stand. Die Pantoffeln hatten schon bessere Zeiten gesehen. Kanarienvogelgelbe Socken lugten durch die Löcher an ihren großen Zehen, aber sie weigerte sich, neue zu kaufen, weil der Sommer ja nicht mehr weit war. Unglücklicherweise sorgten mehrere Tage mit Südwind und wolkenbruchartigem Regen dafür, dass Danny das Gefühl bekam, dass Frühling und Winter sich auf Kosten ihrer kleinen menschlichen Existenz prima amüsierten: An einem Tag war es sonnig, am nächsten kalt und nass. Sie rieb sich müde mit einer Hand über das Haar. Morgens stand es auf einer Seite des Kopfes immer hoch, während es auf der anderen flach anlag, was hieß, dass sie so schlimm aussah, wie sie sich fühlte.
Mia hatte geweint, als sie Dannys zerschundenes Gesicht gesehen hatte, und Matt hatte angeboten, das Frühstück zu machen. Nach schlaflosen Stunden, in denen sie über den verdammten Ross Fabello nachgedacht hatte und darüber, was sie den Kindern sagen sollte, war Danny todmüde.
»Tante Danny?«, begann Mia.
»Mmmm?«
»Was ist ein Onkel?«
Matt sprach um einen Löffel Cornflakes herum. »Das ist der Bruder von deiner Mutter oder deinem Vater.«
Danny dachte darüber nach, ihn zu ermahnen, nicht mit vollem Mund zu sprechen, aber es war ihr die Mühe einfach nicht wert. Er saß am Küchentisch, schielte mit einem Auge nach dem Buch, das unter dem Tischbein direkt neben ihm klemmte. Es war wichtig, dass das Bein nicht von dem Buch rutschte – es hatte sie Ewigkeiten gekostet, ein Buch mit der richtigen Breite zu finden und es genau zu positionieren.
Matt studierte die Rückseite der Cornflakes-Packung mit den Witzen darauf. »Wie nennt man jemanden, der in einer Krimifolge jemanden umbringt?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Danny. »Wie nennt man denn jemanden, der in einer Krimifolge jemanden umbringt?«
»Einen Serienkiller.«
Sie lachte schwach.
»Mum hatte keine Brüder – nur Tante Danny«, stellte Mia fest.
Matt rollte die Augen. »Er ist
Dads
Bruder, Doofie!«
Das löste einen Streit aus, genau als es an der Vordertür klopfte. Danny erwartete Deryl, die Nachbarin, die auf die Kinder aufpasste, wenn sie in der Arbeit war, aber als sie die Tür öffnete, fand sie sich Ross Fabello gegenüber. »Oh, Scheiße …«, murmelte sie.
Er wirkte ausgeruht und fast menschlich in seinen verblichenen Jeans und einem weißen T-Shirt unter einer schwarzen Lederjacke. Offensichtlich hatte
er
nicht die ganze Nacht wach gelegen und sich über
sie
Sorgen gemacht. Danny beäugte die schwarze Jacke. Es war nicht die Art, die man in Billigläden fand. Sie konnte das
Ka-ching
der Registrierkasse quasi hören, während sie die Jacke anstarrte. Jetzt, wo der Bartschatten verschwunden war und seine Augen nicht mehr rot unterlaufen waren, musste Danny widerwillig einräumen, dass das Foto auf der Klappe des Buches vielleicht doch nicht von George Clooney stammte. Sie war durcheinander, weil es schien, als wäre Ross’ Nase über Nacht geschrumpft, aber vielleicht gewöhnte sie sich nur einfach daran. Sie erschien ihr bei weitem nicht mehr so riesig –
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