Herzschlag der Nacht
sein werden.« Sie seufzte. »Ich muss zurück zu John.«
Als Beatrix mit Audrey in die Diele ging, war sie überwältigt von dem Wissen, dass ihre Freundin schon bald den Tod ihres Ehemannes verkraften müsste.
»Audrey«, sagte sie mit zittriger Stimme, »könnte ich dir doch nur etwas von deiner Last abnehmen.«
Audrey blickte sie eine Weile nachdenklich an, und in ihrer Miene spiegelten sich innigste Gefühle. »Das, liebe Beatrix, macht eine wahre Freundin aus.«
Zwei Tage später erhielten die Hathaways Nachricht, dass John Phelan in der Nacht gestorben war. Voller Mitgefühl überlegten sie, wie sie der trauernden Witwe helfen könnten. Gewöhnlich wäre Leo als dem Hausherrn die Aufgabe zugefallen, die Phelans aufzusuchen und ihnen seine Hilfe anzubieten. Nur war Leo in London, denn sie befanden sich noch in der Sitzungsperiode des Parlaments. Es wurde gerade eine hitzige Debatte über die Unfähigkeit und Gleichgültigkeit geführt, die Grund für die schlechte Versorgung und Ausrüstung der Truppen auf der Krim waren.
Daher entschieden sie, dass Merripen, Wins Ehemann, für die Familie zu den Phelans ging. Niemand erwartete, dass er empfangen würde. Vielmehr nahmen sie an, dass die Trauernden zu niedergeschlagen wären, um mit irgendjemandem zu sprechen. Dennoch wollte Merripen einen Brief abgeben, in dem er ihnen jede Unterstützung zusicherte, die sie brauchten.
»Merripen«, bat Beatrix ihn, bevor er aufbrach, »könntest du Audrey meine herzlichen Grüße ausrichten und sie fragen, ob ich ihr bei den Vorbereitungen für das Begräbnis zur Hand gehen kann? Ich bin auch gern jederzeit bereit, sie zu besuchen und einfach bei ihr zu sitzen, wenn sie es wünscht.«
»Natürlich«, antwortete Merripen, dessen dunkle Augen sie voller Wärme ansahen. Er war mit den Hathaways zusammen aufgewachsen und für sie alle wie ein Bruder. »Warum schreibst du ihr nicht einen kurzen Brief? Den könnte ich den Bediensteten geben.«
»Ja, warte bitte kurz.« Beatrix raffte ihre Röcke und lief die Treppe so eilig hinauf, dass sie beinahe gestolpert wäre.
Hastig trat sie an ihren Schreibtisch, holte Papier und Federn hervor und griff nach dem Tintenfass. Ihre Hand erstarrte mitten in der Bewegung, als sie das halb zerknüllte Blatt in der Schublade sah.
Es war ein höflicher, distanzierter Brief gewesen, den sie Christopher Phelan geschrieben hatte.
Und er war nie abgeschickt worden.
Beatrix wurde eiskalt, und ihre Knie drohten nachzugeben. »O Gott«, flüsterte sie und sank mit solcher Wucht auf den Stuhl am Sekretär, dass er bedenklich kippelte.
Sie musste Audrey den falschen Brief gegeben haben, den nicht unterzeichneten, der mit den Worten begann: »Ich darf Ihnen nie wieder schreiben, bin ich doch nicht die, für die Sie mich halten …«
Beatrix’ Herz begann zu rasen, überschlug sich vor Panik. Sie versuchte, ihre wirren Gedanken zu beruhigen und zu überlegen. War der Brief schon weitergeschickt worden? Vielleicht blieb noch Zeit, ihn zurückzuholen. Sie würde Audrey fragen … aber nein, das wäre ungemein selbstsüchtig und gefühllos. Audreys Ehemann war gerade gestorben, da durfte Beatrix sie nicht mit Trivialem belästigen.
Es war zu spät. Beatrix musste es geschehen lassen, konnte nur abwarten, was Christopher Phelan mit der seltsamen Nachricht anfing.
»Bitte kommen Sie heim und suchen Sie nach mir …«
Stöhnend beugte Beatrix sich vor und lehnte ihren Kopf auf den Tisch. Schweißperlen übertrugen sich von ihrer Stirn auf das polierte Holz. Wie von Ferne bemerkte Beatrix, dass Lucky auf den Sekretär sprang, die Nase in Beatrix’ Haar stupste und sanft schnurrte.
Bitte, lieber Gott, lass Christopher nicht antworten. Lass es vorbei sein und ihn niemals herausfinden, dass ich es war.
Kapitel 5
Skutari, Krim
»Ich stelle fest«, sagte Christopher beiläufig, während er eine Tasse Brühe an die Lippen des Verwundeten hielt, »dass ein Lazarett womöglich der schlechteste Ort für einen Mann ist, um gesund zu werden.«
Der junge Soldat, den er fütterte – er konnte nicht älter als neunzehn oder zwanzig Jahre sein –, stieß einen amüsierten Laut aus und trank.
Christopher war drei Tage zuvor in die Lazarettkaserne gekommen. Er war während der endlosen Belagerung Sewastopols bei einem Angriff auf die Festung Redan verwundet worden. Eben noch hatte er eine Gruppe von einfachen Soldaten begleitet, die eine Leiter zu einem russischen Bunker trugen, im nächsten Moment gab es
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