Herzschlag der Nacht
umgebunden, auf der dunkle rötliche Flecken waren.
Blutflecken.
Als Audrey den ängstlichen Blick der Freundin bemerkte, rang sie sich ein Lächeln ab. »Wie du siehst, bin ich nicht vorbereitet, jemanden zu empfangen. Aber du bist einer der wenigen Menschen, bei denen ich den Schein nicht wahren muss.« Erst jetzt schien sie gewahr zu werden, dass sie die Schürze noch trug, band sie eilig ab und rollte sie zu einem Bündel zusammen. »Vielen Dank für den Korb. Ich bat den Butler, Mrs. Phelan ein Glas von dem Pflaumen-Brandy zu bringen. Sie liegt im Bett.«
»Ist sie krank?«, fragte Beatrix, während Audrey sich zu ihr setzte.
Audrey verneinte stumm. »Nur betrübt.«
»Und … dein Mann?«
»Er stirbt«, sagte Audrey matt. »Ihm bleibt nicht mehr lange. Eine Frage von Tagen, sagt der Arzt.«
Beatrix wollte sie in die Arme nehmen, so wie sie es bei ihren verwundeten Kreaturen tat.
Doch Audrey wich sogleich zurück und hob die Hände. »Nein, nicht. Du darfst mich nicht berühren, sonst breche ich zusammen. Ich muss stark sein für John. Lass uns schnell reden, denn ich habe nur wenige Minuten.«
Beatrix faltete ihre Hände im Schoß. »Kann ich nicht irgendetwas tun?«, fragte sie leise. »Lass mich bei ihm sitzen und ruh du ein wenig aus. Zumindest für eine Stunde.«
Wieder bemühte Audrey sich zu lächeln. »Ich danke dir, meine Liebe, aber ich kann nicht jemand anderen bei ihm sitzen lassen. Das muss ich sein.«
»Soll ich dann vielleicht zu seiner Mutter gehen?«
Audrey rieb sich die Augen. »Es ist freundlich von dir, das anzubieten. Ich denke allerdings nicht, dass sie Gesellschaft wünscht.« Sie seufzte. »Ginge es nach ihr, würde sie lieber mit John sterben, als allein weiterzuleben.«
»Aber sie hat noch einen Sohn.«
»Für Christopher hegt sie keine solche Zuneigung. Ihre Liebe galt immer schon allein John.«
Während Beatrix die Worte zu begreifen versuchte, tickte die große Standuhr nachgerade vorwurfsvoll und schwenkte das Pendel einem tadelnden Kopfschütteln gleich. »Das kann doch nicht sein«, murmelte Beatrix.
»Kann es sehr wohl«, erwiderte Audrey mit einem traurigen Lächeln. »Manche Menschen haben unendlich viel Liebe zu geben, so wie deine Familie. Anderen hingegen steht nur ein begrenztes Maß zur Verfügung. Mrs. Phelans Liebe ist erschöpft. Sie hatte gerade genug für ihren Ehemann und John.« Audrey hob und senkte die Schultern. »Doch es ist unwichtig, ob sie Christopher liebt oder nicht. Gegenwärtig scheint nichts mehr wichtig.«
Beatrix griff in ihre Tasche und zog den Brief hervor. »Dieser hier ist für ihn, also für Captain Phelan. Von Pru.«
Audrey nahm das Kuvert mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck entgegen. »Danke. Ich schicke ihn zusammen mit einem Brief über Johns Gesundheitszustand. Er wird davon wissen wollen. Armer Christopher … so weit weg solch eine Nachricht zu erhalten.«
Beatrix fragte sich, ob sie den Brief lieber wieder mitnehmen sollte. Es war der denkbar schlechteste Moment, sich von Christopher zu distanzieren. Andererseits könnte es auch der beste sein. Eine kleine Wunde, die zusammen mit einer weit größeren erlitten wurde, schmerzte nicht so sehr.
Audrey beobachtete sie aufmerksam. »Wirst du es ihm jemals sagen?«, fragte sie sanft.
Beatrix blinzelte. »Was sagen?«
Audrey entfuhr ein winziges Lachen. »Ich bin nicht schwachsinnig, Bea. Prudence ist in diesem Augenblick in London, wo sie Bälle, Soiréen und all jene anderen albernen, trivialen Veranstaltungen der Saison besucht. Sie kann diesen Brief nicht geschrieben haben.«
Beatrix fühlte, wie sie zuerst tiefrot, dann kreidebleich wurde. »Sie gab ihn mir, bevor sie wegfuhr.«
»Weil sie Christopher so sehr zugetan ist?« Audrey kniff die Lippen zusammen. »Das letzte Mal, als ich sie sah, fiel ihr nicht einmal ein, nach ihm zu fragen. Und warum bist du immer diejenige, die Briefe bringt und holt?« Sie betrachtete Beatrix milde vorwurfsvoll. »Nach dem, was Christopher uns in seinen Briefen schreibt, also John und mir, ist er offensichtlich ganz bezaubert von Prudence. Wegen dem, was sie ihm geschrieben hat. Und sollte ich am Ende mit einer hohlköpfigen Schwägerin geschlagen sein, gebe ich dir allein die Schuld, Bea.«
Nun bemerkte sie, dass Beatrix’ Kinn bebte und ihre Augen verdächtig glänzten. Audrey ergriff ihre Hand. »Ich kenne dich gut, daher weiß ich, dass deine Absichten die besten waren. Leider bezweifele ich, dass die Resultate es ebenfalls
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