Herzschlag der Nacht
liebevoller Sorge. »Wie schwierig es ist, dich anzusehen«, sagte sie, worauf Christopher erschrak. »Es ist die Ähnlichkeit zu John. Du siehst natürlich besser aus als er, aber ich mochte sein Gesicht. Es war ein wundervolles, alltägliches Gesicht, das anzuschauen ich nie müde wurde. Deines ist für meinen Geschmack ein bisschen zu einschüchternd. Du siehst viel aristokratischer aus als John.«
Christophers Züge verfinsterten sich, als er an einige der Männer dachte, mit denen er gekämpft hatte und die zwar das Glück hatten, ihre Wunden zu überleben, jedoch auf immer entstellt waren. Sie hatten sich gefragt, wie sie bei ihrer Rückkehr aufgenommen würden, ob sich ihre Ehefrauen oder Geliebten entsetzt von ihnen abwenden würden. »Wie jemand aussieht, ist gleich«, meinte er. »Es zählt einzig, was er ist.«
»Ich bin ehrlich froh, dass du das sagst.«
Christopher betrachtete sie skeptisch. »Worauf willst du hinaus?«
»Nichts. Außer … Ich möchte dich etwas fragen. Falls eine andere Frau – sagen wir, Beatrix Hathaway – das Aussehen von Prudence Mercer und all die Eigenschaften hätte, die du an Prudence schätzt … würdest du dann Beatrix begehren?«
»Guter Gott, nein!«
»Warum nicht?«, fragte Audrey ein wenig beleidigt.
»Weil ich Beatrix Hathaway kenne, und sie hat nichts mit Pru gemein.«
»Du kennst Beatrix nicht. Bisher hast du kaum Zeit mit ihr verbracht.«
»Ich weiß, dass sie ungestüm, starrköpfig und sehr viel munterer ist, als es ein vernünftiger Mensch sein sollte. Sie trägt Kniebundhosen, klettert auf Bäume und streift umher, wie es ihr beliebt, ohne eine Anstandsdame bei sich zu haben. Ich weiß außerdem, dass sie Ramsay House mit Eichhörnchen, Igeln und Ziegen bevölkert, und dass der Mann, der das Pech hat, sie zu ehelichen, allein durch die Tierarztrechnungen in den Ruin getrieben werden dürfte. Möchtest du dem widersprechen?«
Audrey verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte ihn trotzig. »Ja. Sie hat kein Eichhörnchen.«
Christopher griff in seine Jacke und zog den Brief von Pru hervor, den er stets bei sich trug. Er war zu einem Talisman geworden, einem Symbol dessen, wofür er kämpfte. Sein Grund zu leben. Er blickte auf das gefaltete Papier, das er nicht einmal mehr auffalten musste, weil er die Worte längst auswendig konnte.
»Bitte, kommen Sie heim und suchen Sie nach mir.«
Früher hatte er sich häufiger gefragt, ob er unfähig wäre zu lieben. Keine seiner Affären hatte länger als einige Monate gedauert, und obwohl sie körperlich sehr befriedigend gewesen waren, hatten sie doch nie mehr als Lustgewinn für ihn bedeutet. Letztlich kam ihm eine Frau wie die andere vor.
Bis er diese Briefe bekam. Aus ihnen sprach ein solch ungekünstelter, anbetungswürdiger Verstand, dass Christopher sich sofort in ihn, in sie verliebte.
Sein Daumen strich über das Pergament, als wäre es zarte Haut. »Ich schwöre dir, Audrey, ich werde die Frau heiraten, die diesen Brief schrieb.«
»Ich werde es mir merken«, versicherte sie ihm. »Warten wir ab, ob du deinem Schwur treu bleibst.«
Die Londoner Ballsaison dauerte bis zum August, wenn die Sitzungsperiode des Parlaments endete und sich der Adel auf seine Landgüter zurückzog. Dort würde man jagen, schießen und sich von freitags bis montags auf Festen vergnügen. Christopher wollte den Stadtbesuch nutzen, um sein Offizierspatent zu verkaufen und seinen Großvater aufzusuchen, mit dem er seine neue Pflichten als Erbe von Riverton besprechen musste. Überdies wollte er alte Freunde treffen und etwas Zeit mit einigen Männern aus seinem Regiment verbringen.
Vor allem aber musste er Prudence finden.
Christopher war unsicher, wie er sie ansprechen wollte, nachdem sie die Korrespondenz mit ihm auf solch seltsame Weise beendet hatte.
Es war seine Schuld gewesen. Er hatte ihr vollkommen verfrüht seine Liebe erklärt, was sie als bedrängend empfunden haben musste.
Zweifellos war es klug von Prudence gewesen, den Briefwechsel abzubrechen. Sie war eine wohlerzogene, vornehme junge Dame, folglich musste sie mit Geduld und Zurückhaltung umworben werden.
Und das würde er tun, sofern Prudence ihn noch wollte.
Er mietete sich Zimmer im Rutledge, einem eleganten Hotel, das bei Mitgliedern europäischer Königshäuser, amerikanischen Fabrikanten und britischen Adligen ohne feste Stadtresidenz beliebt war. Das Rutledge bot einen Komfort und Luxus, mit dem kein anderes Haus konkurrieren konnte, und
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