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Herzschlag der Nacht

Herzschlag der Nacht

Titel: Herzschlag der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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geradewegs das Fenster an, riss es auf und holte tief Luft. »Sie könnten sich ungleich angenehmer wärmen, indem Sie einen Spaziergang unternehmen.«
    Sein Großvater betrachtete ihn stirnrunzelnd von seinem Sessel am Kamin aus. »Der Arzt rät mir von frischer Luft ab. Und ich würde dir raten, dein Erbe zu verhandeln, bevor du mich umbringst.«
    »Es gibt nichts zu verhandeln. Hinterlassen Sie mir, was immer Sie wünschen – oder nichts, falls das Ihr Wunsch ist.«
    »Listig wie eh und je«, murmelte Annandale. »Du nimmst an, dass ich das Gegenteil dessen tun werde, was du sagst.«
    Christopher lächelte und zog seinen Gehrock aus. Er warf ihn auf einen Stuhl in der Nähe, als er auf seinen Großvater zuging. Vorsichtig ergriff er die gebrechliche, kalte Hand seines Großvaters. »Guten Tag, Sir. Sie sehen wohl aus.«
    »Bin ich nicht«, konterte Annandale. »Ich bin alt. Mit diesem Körper durchs Leben zu gehen, ist, als wollte man ein Schiffswrack segeln.«
    Christopher nahm auf dem anderen Sessel am Kamin Platz und musterte seinen Großvater. Annandale hatte eine neue Zartheit gewonnen, so wie sich seine Haut zerknüllter Seide gleich über den ehernen Rahmen legte. Die Augen jedoch waren dieselben wie immer: leuchtend und durchdringend. Und seine Augenbrauen, die sich weigerten, das Grau seines Haupthaars anzunehmen, waren bis heute dicht und schwarz.
    »Sie haben mir gefehlt«, sagte Christopher mit einem Unterton von Verwunderung, »auch wenn ich nicht sagen könnte, warum. Es muss dieser stechende Blick sein. Er bringt mir meine Kindheit zurück.«
    »Du warst schon immer ein Teufelsbraten«, antwortete Annandale, »und selbstsüchtig durch und durch. Als ich Russells Berichte über deine Heldentaten auf dem Schlachtfeld las, war ich sicher, dass sie dich mit jemandem verwechselt haben.«
    Christopher grinste. »Falls ich heroisch war, dann nur rein zufällig. Ich versuchte lediglich, mich selbst zu retten.«
    Ein Rasseln, das offenbar ein amüsiertes Lachen sein sollte, ertönte aus der Kehle des Alten, ehe er es verhindern konnte. Wieder zog er die Brauen zusammen. »Du hast dich anscheinend ehrenhaft betragen. Man sagt, du könntest zum Ritter geschlagen werden. Daher wäre es wohl angeraten, dass du die Einladungen der Königin nicht ausschlägst. Deine Weigerung, nach der Rückkehr von der Krim in London zu bleiben, wurde nicht gut aufgenommen.«
    Christopher warf ihm einen finsteren Blick zu. »Mir liegt der Wunsch fern, die Leute zu zerstreuen wie ein dressierter Affe. Mich unterscheidet nichts von den Tausenden anderer Männer, die taten, was man von ihnen erwartete.«
    »Diese Bescheidenheit bei dir ist mir neu«, bemerkte sein Großvater unbeeindruckt. »Dient sie nur meinem Wohlwollen oder ist sie echt?«
    Christopher schwieg und zupfte an seiner Krawatte, die er aufband, bis sie in zwei Stoffstreifen von seinem Hals hing. Als auch das nicht half, ihm Abkühlung zu verschaffen, trat er ans offene Fenster.
    Er blickte hinunter auf die Straße, die sehr belebt war und bei Weitem zu unruhig. Angesichts der warmen Temperaturen lebten die Leute vornehmlich draußen, saßen oder standen in offenen Türen, aßen, tranken und unterhielten sich, während Karren, Kutschen und Pferde an ihnen vorbeizogen und stinkenden Staub aufwirbelten. Christophers Aufmerksamkeit galt einem Hund, der hinten in einem kleinen Wagen saß, während sein Herr ein eher schlecht gebautes Pony durchs Gedränge lenkte. Unweigerlich musste er an Albert denken und bekam ein schlechtes Gewissen. Er wünschte, er hätte den Hund nach London mitgenommen. Aber nein, all der Trubel und die Enge hätten den armen Albert wahnsinnig gemacht. Auf dem Lande ging es ihm besser.
    Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Großvater zu, denn erst jetzt bemerkte er, dass der alte Mann etwas sagte.
    »… habe ich die Frage deines Erbes überdacht. Ursprünglich hatte ich dir sehr wenig vorgesehen. Den größten Anteil sollte naturgemäß dein Bruder erhalten. Falls es einen Mann gibt, der Riverton mehr verdiente als John Phelan, bin ich ihm noch nicht begegnet.«
    »Dem stimme ich zu«, sagte Christopher leise.
    »Aber nun, da er nicht mehr ist und keinen Erben hinterlässt, bleibst nur noch du. Und obgleich dein Charakter Anzeichen von Besserung zeigt, bin ich nicht überzeugt, dass du Rivertons würdig bist.«
    »Ich ebenso wenig«, erwiderte Christopher und fügte nach kurzer Überlegung hinzu: »Ich will nichts von dem, was John zugedacht

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