Herzschlag der Nacht
unverhohlene Anspielungen auf Heirat, Mitgift, die Aussicht auf wunderhübsche Kinder und die Vorzüge friedvoller Beschaulichkeit. Christopher allerdings war nicht in der Verfassung, ein geeigneter Ehemann für irgendeine Frau zu sein.
Entsprechend empfand er außer Furcht auch einen Anflug von Erleichterung, als er zum Londoner Haus der Mercers ging, um Lebwohl zu sagen. Auf seine Bitte hin ließ Mrs. Mercer ihn mit Prudence allein im Salon, schloss jedoch nicht die Tür.
»Aber … aber …«, begann Prudence unglücklich, als er ihr von seiner Abreise erzählte, »Sie wollen doch gewiss mit meinem Vater sprechen, ehe Sie die Stadt verlassen, nicht?«
»Worüber sollte ich mit ihm sprechen?«, fragte Christopher, obgleich er es wusste.
»Ich würde meinen, dass Sie ihn um Erlaubnis bitten möchten, mir offiziell den Hof zu machen«, sagte Prudence gekränkt.
Er sah sie an. »Das zu tun steht mir gegenwärtig nicht frei.«
»Es steht Ihnen nicht frei?« Prudence sprang auf, sodass Christopher ebenfalls aufstehen musste, und funkelte ihn wütend an. »Selbstverständlich tut es das. Oder gibt es eine andere?«
»Nein.«
»Ihre geschäftlichen Angelegenheiten sind geregelt, und Ihr Erbe steht fest?«
»Ja.«
»Dann besteht kein Grund, noch länger zu warten. Sie haben mich den Eindruck gewinnen lassen, dass Ihnen an mir liegt. Vor allem nach Ihrer Ankunft in der Stadt sagten Sie mehrfach, wie sehr Sie sich danach gesehnt hätten, mich zu sehen, wie viel ich Ihnen bedeute. Und nun ist Ihre Leidenschaft abgekühlt? Warum?«
»Ich erwartete, nein, ich hoffte, dass Sie mehr wie die Dame wären, als die Sie sich in Ihren Briefen gaben.« Christopher betrachtete sie aufmerksam. »Inzwischen frage ich mich … hat Ihnen jemand geholfen, die Briefe zu schreiben?«
Prudence hatte das Gesicht eines Engels, doch war die Wut, die in ihren Augen aufblitzte, alles andere als himmlisch. »Ach, was fragen Sie mich immerzu nach diesen albernen Briefen? Das waren bloß Worte, und Worte bedeuten nichts!«
» Sie haben mich erkennen lassen, dass Worte das Wichtigstes auf der Welt sind …«
»Nichts«, wiederholte Christopher, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
»Ja.« Prudence wirkte ein wenig eingeschüchtert, weil er sie sehr genau beobachtete. »Ich bin hier, Christopher. Ich bin real, und Sie brauchen keine lächerlichen alten Briefe mehr. Sie haben mich .«
»Was ist mit dem, was Sie mir über die Quintessenz schrieben?«, fragte er. »Hatte es nichts zu bedeuten?«
»Die …« Prudence wurde rot. »Ich erinnere mich nicht, was ich damit meinte.«
»Das fünfte Element nach Aristoteles«, half er ihr auf die Sprünge.
Alle Farbe schwand aus ihrem Gesicht, sodass sie sehr bleich wurde, wie ein Kind aussah, das man bei einer Missetat ertappt hatte. »Was hat das denn mit irgendetwas zu tun?«, rief sie erbost. »Ich möchte über wichtige Dinge sprechen. Wen kümmert schon Aristoteles?«
»… mir gefällt die Vorstellung, dass in jedem von uns ein kleines Sternenlicht ist …«
Sie hatte jene Worte nie geschrieben.
Für einen Moment konnte Christopher nicht reagieren. Ein Gedanke jagte den anderen, und alle berührten sich kurz, ähnlich den Händen von Männern bei einem Fackellauf. Eine vollkommen andere Frau hatte ihm geschrieben … mit Prudences Einverständnis. Er war getäuscht worden. Und Audrey musste es gewusst haben. Man hatte Gefühle in ihm geweckt, und dann hörten die Briefe auf. Warum?
»… bin ich doch nicht die, für die Sie mich halten …«
Christopher wurden die Brust und die Kehle eng, und er vernahm etwas, was wie ein verwundertes Lachen klang.
Prudence lachte auch, allerdings vor Erleichterung. Sie hatte keine Ahnung, was der Grund für seine bittere Erheiterung war.
Hatten sie ihn willentlich zum Narren gehalten? War es Rache für vergangene Beleidigungen gewesen? Bei Gott, er würde herausfinden, wer die Briefeschreiberin und welches ihre und Prudences Beweggründe gewesen waren.
Er hatte sich in eine Frau verliebt, die ihn täuschte und deren Namen er nicht einmal kannte. Wahrhaft unverzeihlich an dieser Geschichte war, dass er sie nach wie vor liebte. Dafür würde sie bezahlen.
Es fühlte sich gut an, wieder einen Ansporn zu haben. Jemanden aufspüren zu wollen, um ihm Schaden zuzufügen, war ihm allzu vertraut. Es entsprach dem Mann, der er geworden war.
Sein eisiger Zorn entlockte ihm ein schmallippiges Lächeln.
Prudence sah ihn unsicher an. »Christopher? Was denken
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