Herzschlag der Nacht
frage ich mich, ob Sie mich eventuell mit Ihrem berühmten Maultier bekanntmachen würden?« Er hielt sich vollkommen entspannt, doch seine Augen waren die eines Raubtiers.
Beatrix’ Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Sie konnte ihm unmöglich entkommen. Er wollte Antworten, und wenn sie ihm jetzt keine gab, würde er sie später verlangen.
»Jetzt?«, fragte sie scheu. »Heute Abend?«
»Falls es Ihnen keine allzu großen Umstände macht«, sagte er entschieden zu freundlich. »Die Scheune ist ganz in der Nähe, nicht wahr?«
»Richtig.« Beatrix stand auf, worauf sich auch alle Herren am Tisch erhoben. »Entschuldigt uns, bitte. Ich bin bald zurück.«
»Darf ich mitkommen?«, fragte Rye.
»Nein, mein Lieber«, erklärte Amelia. »Für dich ist es Zeit, dein Bad zu nehmen.«
»Aber warum muss ich mich waschen, wenn gar kein Dreck zu sehen ist?«
»Weil Reinlichkeit gleich nach Gottesfurcht kommt«, antwortete Amelia schmunzelnd.
Die Familie plauderte noch eine Weile beiläufig, als Rye nach oben gegangen war und Beatrix mit Captain Phelan das Haus verlassen hatte, gefolgt von Albert.
Zunächst trat Stille ein, dann fragte Leo: »Ist es noch jemandem aufgefallen?«
»Ja«, antwortete Catherine. »Und was hältst du davon?«
»Das weiß ich noch nicht.« Leo zog die Brauen zusammen und nippte an seinem Portwein. »Er ist kein Mann, den ich mir an Beas Seite vorstellen kann.«
»Und wen kannst du dir vorstellen?«
»Tja, wenn ich das wüsste«, sagte Leo. »Jemand mit ähnlichen Interessen. Der Tierarzt vielleicht?«
»Der hiesige Tierarzt ist dreiundachtzig und taub«, räumte Catherine ein.
»Dann würden sie sich nie streiten.«
Amelia lächelte und rührte in ihrem Tee. »So ungern ich es auch zugebe, stimme ich mit Leo überein. Nicht was den Tierarzt betrifft, aber … Beatrix und ein Soldat? Das kommt mir unwahrscheinlich vor.«
»Phelan hat sein Offizierspatent zurückgegeben«, sagte Cam. »Er ist kein Soldat mehr.«
»Und falls er Riverton erbt«, überlegte Amelia laut, »hätte Beatrix all die Wälder, in denen sie umherstreifen kann.«
»Ich erkenne durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden«, meinte Catherine.
Leo war verwundert. »Welche Ähnlichkeit glaubst du zu sehen, meine Gute? Sie mag Tiere, er mag es, auf Dinge zu schießen.«
»Beatrix hält stets Distanz zur Welt um sich herum. Sie hat ein gewinnendes Wesen, ohne Frage, ist aber dennoch eher zurückgezogen. Und genau diesen Eindruck habe ich auch von Captain Phelan.«
»Ja«, pflichtete Amelia ihr bei. »Du hast recht, Catherine. Betrachtet man es aus diesem Winkel, scheint es durchaus möglich.«
»Ich habe trotzdem Bedenken«, warf Leo ein.
»Die hast du immer«, erwiderte Amelia. »Wie du dich wohl erinnerst, hattest du sie bei Cam ebenfalls, und ihn hast du längst akzeptiert.«
»Was daran liegt, dass er sich, je mehr Schwäger ich bekomme, im Vergleich umso besser macht.«
Kapitel 15
B eatrix und Christopher wechselten kein Wort, als sie auf den Stall zugingen. Der wolkenverhangene Mond hing tief am Himmel und glich einem schemenhaften Rauchring in der Dunkelheit.
Beatrix nahm ihr Atmen, das Knirschen ihrer Schuhe auf dem Kies und den Mann neben ihr geradezu absurd deutlich wahr.
Ein Stallbursche nickte ihnen zum Gruß zu, als sie in die warme, schattige Stallgasse traten. Die Stalljungen waren daran gewöhnt, dass Beatrix oft und zu den unterschiedlichsten Zeiten herkam, deshalb wunderte sich niemand über ihr Erscheinen.
Der Stallgeruch nach Heu, Pferden, Futter und Mist war wunderbar vertraut, was Beatrix ein wenig Sicherheit gab. Schweigend führte sie Christopher an den Vollblütern, einem Kaltblut und zwei Kutschpferden vorbei. Alle Tiere wieherten leise und drehten die Köpfe zu ihnen.
Schließlich blieb Beatrix vor der Box des Maultiers stehen. »Dies ist Hector.«
Das kleine Maultier kam nach vorn, um sie zu begrüßen. Trotz seiner Schwächen – oder gerade wegen ihnen – war er ein reizendes Tier. Mit seinem einen eingeknickten Ohr war er wahrlich keine Schönheit, aber sein Gesichtsausdruck war übermütig und munter.
Christopher streckte eine Hand aus, um Hector zu streicheln, und das junge Maultier stupste sie mit seinen Nüstern an. Christophers Freundlichkeit gegenüber dem Tier war beruhigend. Vielleicht, dachte Beatrix hoffnungsvoll, war er doch nicht so wütend, wie sie fürchtete.
Sie holte tief Luft und sagte: »Der Grund, weshalb ich ihn Hector nannte
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