Herzschlag der Nacht
du wissen, wann er es begriffen hat?«
»Das kann man nicht so genau sagen. Ich arbeite weiter mit ihm, und nach und nach geht es besser.«
Sie saß ab und führte das Pferd an den Zaun, wo Rye ihm den seidigen Hals streichelte. »Albert«, sagte Beatrix und bückte sich zu dem Hund. »Was tust du hier? Bist du deinem Herrn ausgebüchst?«
Er wedelte begeistert mit dem Schwanz.
»Ich habe ihm Wasser gegeben«, berichtete Rye. »Können wir ihn heute Nachmittag hierbehalten?«
»Ich fürchte nein. Captain Phelan macht sich gewiss Sorgen um ihn. Ich bringe ihn zurück.«
Der Junge seufzte enttäuscht. »Schade, dass ich nicht mitkommen kann, aber ich muss noch meine Aufgaben fertig machen. Ich freue mich schon, wenn ich alles weiß. Dann brauche ich nie wieder Bücher zu lesen oder zu rechnen.«
Beatrix lächelte. »Ich will dich ja nicht entmutigen, aber es ist unmöglich, alles zu wissen, Rye.«
»Mama weiß alles.« Rye überlegte. »Jedenfalls sagt Papa, dass wir so tun sollen, als wenn sie alles weiß, weil sie das froh macht.«
»Dein Vater ist ein fürwahr weiser Mann«, sagte Beatrix lachend.
Erst als sie schon den halben Weg nach Phelan House geritten war, fiel Beatrix ein, dass sie noch in Kniebundhose und Stiefeln war. Wenn sie in diesem Aufzug vor seiner Tür erscheinen würde, wäre Christopher ohne Frage verärgert.
Seit dem Ball in Stony Cross Manor vor einer Woche hatte sie nichts von ihm gehört. Und obwohl Beatrix nicht erwartete, dass er sie besuchte, wäre es eine höfliche Geste gewesen. Immerhin waren sie Nachbarn. Täglich hatte Beatrix ausgedehnte Spaziergänge in der Hoffnung unternommen, ihm zufällig zu begegnen. Was nicht geschah.
Offensichtlicher hätte Christopher sein Desinteresse an ihr kaum machen können. Was Beatrix zu dem Schluss verleitete, dass es ein schwerwiegender Fehler gewesen war, sich ihm anzuvertrauen. Zu eilfertig hatte sie angenommen, ihr Problem wäre mit seinem vergleichbar.
»Ich stelle neuerdings fest, dass ich nicht mehr in ihn verliebt bin«, erzählte sie Albert, als sie sich Phelan House näherte. »Und darüber bin ich sehr froh, denn ich bin kein bisschen nervös, weil ich ihn wiedersehe. Ich schätze, das beweist, dass es nur eine Schwärmerei war, die ich hinter mir gelassen habe. Mir ist vollkommen gleich, was er tut oder wen er heiratet. Ach, wie herrlich befreiend es ist!« Sie sah zu dem Hund, den ihre Worte offenbar nicht überzeugten, und seufzte.
Vor dem Haus übergab sie einem Diener die Zügel und saß ab. Sie unterdrückte ein Grinsen, als sie sah, wie der Mann sie anstarrte. »Halten Sie mein Pferd bitte bereit. Ich bleibe nur kurz. Komm, Albert.«
An der Tür empfing sie Mrs. Clocker, der Beatrix’ Kleidung einen Schock versetzte. »Aber, Miss Hathaway, Sie tragen …«, stammelte die Haushälterin.
»Ja, verzeihen Sie. Ich weiß, dass ich nicht vorzeigbar bin, doch ich bin übereilt hergeritten. Albert kam allein nach Ramsay House, und ich bringe ihn nur rasch zurück.«
»Danke«, murmelte die Haushälterin matt. »Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er fort ist. Mit unserem Herrn, der nicht er selbst ist …«
»Nicht er selbst?«, fragte Beatrix besorgt. »Was meinen Sie, Mrs. Clocker?«
»Ich sollte nicht darüber sprechen.«
»Doch, sollten Sie. Und ich bin die ideale Person, der Sie sich anvertrauen sollten. Ich bin sehr diskret und gebe Klatsch nur an Tiere weiter. Ist Captain Phelan krank? Ist ihm etwas zugestoßen?«
Die Haushälterin senkte ihre Stimme, bis sie nur noch flüsterte. »Vor drei Tagen rochen wir abends plötzlich Rauch, der aus seinem Schlafzimmer kam. Der Herr war schrecklich betrunken und hatte seine Uniform ins Kaminfeuer geworfen, mitsamt all seinen Medaillen! Wir konnten die Medaillen retten, aber der Stoff war ruiniert. Danach hat sich der Herr eingeschlossen und trinkt seither nur noch. Wir verdünnen seinen Brandy mit Wasser, soweit wir es wagen, aber …« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. »Er will mit niemandem sprechen. Und er rührt das Essen nicht an, das ich ihm nach oben schicke. Den Doktor ließen wir auch schon kommen, aber nicht einmal den wollte er empfangen. Und als wir gestern den Vikar herbaten, drohte er, ihn umzubringen. Wir überlegen, Mrs. Phelan herzurufen.«
»Seine Mutter?«
»Gütiger, nein. Die jüngere Mrs. Phelan. Ich glaube nicht, dass seine Mutter eine Hilfe wäre.«
»Ja, Audrey ist gewiss eine gute Wahl. Sie ist sehr besonnen und kennt ihn gut.«
»Stimmt, nur
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