Herzschlagzeilen
sitzen und neidisch zu uns hinüberstarren, aber die Gäste an den anderen Tischen sind alle mit sich selbst und ihren Eisbechern beschäftigt und beachten uns gar nicht. Dann halt nicht. Spätestens wenn ich diesem jungen Mann vor mir das Leben gerettet habe, wird das anders sein, tröste ich mich. Wenn ich jetzt nur wüsste, worüber ich mit ihm reden soll. Zumindest scheint es Marc auch nicht viel besser zu gehen, stelle ich beruhigt fest. Obwohl wir schon längst bestellt haben, studiert er die Eiskarte mit einer Intensität, als würde sie ihm die neuesten Börsenkurse verraten.
»Was ist deine Lieblingseissorte?«
Hab ich das eben gefragt?
Sag mal, Isa, bist du komplett bescheuert? Du sitzt hier mit Marc Behrendt, dem heißesten Jungen der ganzen Schule, für den andere Mädchen einen Mord begehen würden – und dir fällt nichts Besseres ein, als nach seiner Lieblingseissorte zu fragen?
»Schokolade«, murmelt Marc, ohne von der Eiskarte hochzusehen.
Okay. Schokolade. Ich nicke. Wer dämlich fragt, muss mit einer dämlichen Antwort rechnen. Ich schnappe mir die zweite Eiskarte und blättere ebenfalls darin herum. Wenn Marc dort die Börsenkurse findet, möchte ich wenigstens mitreden können. Aus den Augenwinkeln beobachte ich Mister Perfect. Süß sieht er aus, wie er sich da in die Karte vertieft, um nur nicht mit mir reden zu müssen. Süß? Wie kommt dieses Wort in meinen Wortschatz? Vor allem im Zusammenhang mit einem Jungen habe ich das noch nie verwendet.
Als die Eisbecher kommen, stürzt Marc sich auf seinen, als hätte er seit Tagen nichts zu essen bekommen. So hat man früher wohl ein Mammut zerlegt, denke ich, während ich ihm gespannt dabei zusehe, wie er mit dem langen silbernen Löffel die Eiskugeln zerhackt. Mich scheint er jedenfalls komplett vergessen zu haben.
Während ich vorsichtig ein Stückchen Schokolade aus einer Stracciatella-Kugel fummele, beobachte ich ihn weiter. Wie männlich er ist, schießt es mir durch den Kopf, und ich sehe uns wieder nebeneinander über den roten Teppich zum Presseball schreiten.
Als ob er meinen heimlichen Blick bemerkt hätte, sieht Marc plötzlich auf und mir genau in die Augen. Vor Verlegenheit werde ich sofort knallrot. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, ich hätte ihn angestarrt. Aber er lächelt mich nur an.
»Wie heißt du eigentlich?«, fragt er.
Einen Moment lang bin ich verwirrt. Hatte er mich wirklich noch nicht nach meinem Namen gefragt?
Wieso will er dann mit mir Eis essen gehen, wenn er noch nicht mal meinen Namen kennt? Und warum hat er meinen Kuss so leidenschaftlich erwidert, ohne auch nur zu wissen, wie ich heiße? Macht er das immer so? Ist es ihm egal, wen er küsst, Hauptsache, weiblich?
Warst nicht du es, die ihn geküsst hat?
Ich ignoriere die Stimme in meinem Hinterkopf und versuche, mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.
»Ähm – Isa«, antworte ich. »Isa Heimbucher.«
Er nickt nur und äußert sich nicht weiter dazu. Erleichtert stelle ich fest, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch sich wieder beruhigt haben. Sie flattern nur noch schwach, größtenteils sitzen sie wohl einfach faul irgendwo herum und warten ab, was passiert. Wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Denn auch wenn Marc Behrendt mich natürlich unwiderstehlich finden soll, waren Schmetterlinge in meinem Bauch oder irgendwelche anderen dusseligen Gefühlsregungen dabei eigentlich überhaupt nicht vorgesehen. Schließlich muss ich bei der ganzen Sache einen möglichst klaren Kopf behalten.
Marc scheint das genauso zu sehen, registriere ich erleichtert, denn er versucht gar nicht erst, mich noch einmal zu küssen oder meine Hand zu halten.
Stattdessen unterhalten wir uns einfach. Wir sitzen zusammen wie zwei alte Bekannte in der Eisdiele und plaudern. Ich erzähle Marc von meinem Praktikum beim
Stadtanzeiger
und er revanchiert sich mit ein paar kuriosen Erlebnissen auf irgendwelchen Events. Zu denen er übrigens nie Lust hat, die von seinem Vater aber als Pflichtprogramm angesehen werden. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, denke ich. Jedenfalls könnte alles ganz wunderbar sein, würden meine Gedanken nicht immer wieder zu Luke wandern. Ich schaffe es einfach nicht, ihn aus meinem Kopf zu verbannen. Immer wieder sehe ich diesen Moment vor mir, in dem Luke plötzlich stehen bleibt wie vom Blitz getroffen. Was er jetzt wohl gerade macht? Ob er sich wieder beruhigt hat? Ich plaudere mit Marc, genieße seine Aufmerksamkeit, versuche, witzig,
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