Herzschlagzeilen
geküsst – von sich aus! Und es hat sich komplett gut angefühlt. Warum musste Luke das alles kaputtmachen? Und überhaupt: Luke. Wir waren doch einmal Freunde. Waren wir das? Es gab eine Zeit, in der wir uns jeden Tag gesehen haben. Und in der wir jeden Tag irgendetwas zusammen unternommen haben. Ganz hinten in mir macht sich mal wieder so etwas wie schlechtes Gewissen bemerkbar. Okay, in den letzten paar Monaten habe ich mich nicht wirklich nett gegenüber Luke benommen. Aber er hat sich auch einfach total verändert. Überhaupt ist plötzlich alles so anders geworden. Erst der Umzug, dann Papas neuer Job, Mamas komisches Verhalten, Lukes Aufdringlichkeit und nicht zu vergessen die Turteleien von Nina und Colin. Ich fühle mich, als ob mein ganzes Leben komplett aus den Fugen geraten wäre. Als ob mich jemand mitten in einen Ozean geschmissen hätte, ohne mir zu sagen, in welche Richtung ich schwimmen muss. Jetzt kann ich die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie laufen mir einfach übers Gesicht und tropfen vor mir auf den Fußboden. Jemand klopft an die Tür.
»Isa?«
Mama. Ich habe keine Lust, ihr zu antworten. Ich beobachte, wie sie vorsichtig die Klinke drückt, bis sie merkt, dass die Tür abgeschlossen ist. Jetzt klopft sie wieder, diesmal lauter und energischer.
»Isa, bitte mach auf.«
Ich ziehe die Nase hoch, wische mir mit dem Ärmel über das Gesicht. Mama klopft wieder.
»Schätzchen, egal was passiert ist, du solltest darüber reden.« Ah, sie versucht es auf die verständnisvolle Tour. Aber nicht mit mir.
»Ich will nicht reden.« Ich erschrecke selbst darüber, wie abweisend meine Stimme klingt. Ich spüre, wie die Hilflosigkeit zurückkommt und mit ihr die Tränen. Ich habe keine Lust auf Gespräche. Auf all die Fragen und besorgten Gesichter und Vorwürfe. Ich will das alles nicht. Außerdem ist mir immer noch schlecht. Ich will nur noch ins Bett. Aber dazu muss ich die Badezimmertür öffnen.
Erst mal reiße ich noch ein großes Stück Klopapier ab und putze mir umständlich die Nase. Dann schließe ich auf. Innerlich bereite ich mich auf eine Diskussion mit meiner Mutter vor, die hoffentlich kurz ausfällt, damit ich endlich meine Ruhe habe. Ich hole tief Luft und öffne die Tür. Aber auf das, was ich dann sehe, bin ich in keiner Weise vorbereitet.
Vor der Tür steht meine Mutter und sieht mir besorgt entgegen. Es ist aber nicht ihr besorgter Blick, der mir als Erstes auffällt, sondern ihr neues Kleid, das sie trägt. Ein rotes Kleid.
Ich starre sie an und auf einmal fallen die Puzzleteilchen in meinem Kopf an ihren richtigen Platz.
Boris Yefimenko. Ich wusste, dass ich den Namen schon mal gelesen hatte. Und jetzt weiß ich auch wieder, wo das war. Ein Flyer für diese Ausstellungseröffnung lag eine Weile auf unserem Küchentisch. Irgendwer hat ihn dann weggeräumt. Boris Yefimenko. Meine Mutter war auf der Vernissage. In einem roten Kleid mit gekreuzten Rückenträgern. In dem
einzigen
roten Kleid, korrigiere ich mich. Das alles wäre ja eigentlich nicht weiter tragisch. Warum sollte eine Buchhändlerin nicht auch auf eine Vernissage gehen dürfen? Selbst in einem roten Kleid. Schließlich war ich total neidisch gewesen auf die Idee mit dem roten Outfit. Aber da war noch etwas. Etwas, das sich erst langsam in meinem Kopf zu einem Bild formte. Da war dieser Arm, der sich um die Schultern im roten Kleid gelegt hat. Der Arm in dem dunklen Anzug. Meine Mutter war nicht allein auf der Vernissage. Sie hatte einen Mann dabei. Und ich habe keine Ahnung, wer dieser Mann war.
Ich frage mich, ob Papa wohl von alldem weiß.
Wortlos schiebe ich mich an meiner Mutter vorbei. Sie will mich am Arm festhalten, aber ich reiße mich los.
»Fass mich nicht an!«, schreie ich, worauf sie so sehr erschrickt, dass sie mich tatsächlich loslässt. Ich registriere, dass sie einen Moment lang nicht weiß, was sie tun soll. Dann fällt ihr Blick auf meine Füße.
»Wer hat dir erlaubt, meine Schuhe anzuziehen?«, fragt sie. Aber ich antworte nicht. Was sind schon ein paar falsche Schuhe gegen einen falschen Mann? Ich schlüpfe einfach aus den Pumps und lasse sie achtlos im Flur liegen. Dann drehe ich mich um und gehe in unser Zimmer. Kiki liegt auf dem Bett und liest. Sie blickt nur kurz hoch, runzelt erstaunt die Stirn, um sich dann sofort wieder tief in ihrem Buch zu vergraben.
Ich lasse mich auf mein Bett fallen und versuche, nicht zu heulen. Was verdammt schwierig ist, denn ich fühle mich von
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