Herzstoss
alles würde gut werden.
Es war nach Mitternacht. Devon war mit Freunden feiern gewesen. Marcy lag im Bett, Peter schlief neben ihr. Sie war ein paarmal kurz eingedöst, konnte jedoch nie richtig einschlafen, ehe sie wusste, dass Devon sicher zu Hause war. Und nun wartete sie darauf, dass ihre Tochter im Flur vorbeischlich und vielleicht den Kopf hereinsteckte, um zu sehen, ob ihre Mutter noch wach war, und ihr einen Gutenachtkuss zu geben. Stattdessen hörte Marcy sie in der Küche hantieren, wo Devon rastlos Schranktüren öffnete und wieder schloss. Auf und zu, auf und zu. Eine nach der anderen. Auf und zu, auf und zu.
Dann ein Klirren, das Geräusch von splitterndem Glas.
Marcy war aus dem Bett gesprungen, hatte einen Bademantel übergeworfen und war aus dem Schlafzimmer gerannt, während sie sich einredete, dass sie übertrieben reagierte und es keinen Grund zur Besorgnis gab. Devon hatte Hunger, sie hatte einen Snack gesucht und im Dunkeln irgendwas umgestoßen. Es war ein Unfall. Wahrscheinlich hockte sie schon auf allen Vieren, um die Scherben zusammenzukehren.
Aber als Marcy die Küche betreten hatte, stand Devon mit offenem Mund und schlaffem Kinn stocksteif an den Granittresen gelehnt, die Augen ausdruckslos und voller Tränen.
»Was ist los, Schätzchen?«, hatte Marcy gefragt und war auf sie zugegangen.
»Nichts«, warnte Devon.
Marcy bemerkte die Glasscherben um Devons Füße und die Tulpen, die halb in, halb neben den Resten der zerbrochenen Vase lagen. Wasser war über Devons offene Sandalen gespritzt, ihr roter Nagellack glänzte feucht im Mondlicht. Sie hatte beide Hände zu Fäusten geballt, zwischen den Fingern quollen Körnchen hervor und rieselten zu Boden wie Schnee.
»Was ist das, Schätzchen?«, fragte Marcy, schaltete die Deckenlampe ein und sah eine Schachtel auf dem Tresen liegen. »Was machst du mit dem Salz?«
Statt zu antworten, hob Devon die Fäuste und begann, sich Salz in den Mund zu stopfen.
Marcy war sofort an ihrer Seite und riss Devons Hände herunter. »Devon, was um Himmels willen tust du? Hör auf. Davon wird dir schlecht.«
Devons Blick war unvermittelt klar geworden, als hätte sie ihre Mutter erst jetzt bemerkt. »Mom?«, fragte sie, öffnete die Hände und ließ das restliche Salz auf den Boden rieseln.
Marcy spürte den Regen winziger, harter Kristalle auf ihren nackten Füßen. »Ist alles in Ordnung?« Hektisch begann sie, ihrer Tochter die Haare aus dem Gesicht zu streichen und das Salz abzuwischen, das störrisch an ihren Lippen und ihrem Kinn klebte.
Devon blickte von ihrer Mutter zu Boden. »O Gott, es tut mir so leid!«
»Was ist denn, Schätzchen? Was ist passiert?«
»Ich weiß nicht. Ich wollte mir eine Tüte Kartoffelchips aus dem Schrank holen, und dann habe ich die Blumen gesehen. Man sagt doch, Rosen duften so gut, nicht wahr? Eigentlich sind es ja nur Tulpen, und die duften gar nicht. Jedenfalls habe ich dabei die Vase umgestoßen, und ich konnte die Kartoffelchips nicht finden. Erinnerst du dich an Vicki? Vicki Enquist? Sie ist echt groß, fast 1,80 Meter mit einer leicht schiefen Nase? Sie war in der siebten Klasse meine beste Freundin, erinnerst du dich an sie?«, sagte sie, alles in einem Atemzug.
Marcy wollte gerade antworten, dass sie sich nicht an eine Vicki Enquist erinnern und ob Devon bitte langsamer sprechen könne, sie würde völlig konfus reden, doch ihre Tochter war schon weiter.
»Ihre Mutter war eine berühmte Gärtnerin oder so was. Sie hatte eine eigene Fernsehshow oder so in Vancouver. Sie war jedenfalls heute Abend da. Vicki, meine ich, nicht ihre Mutter. Auf der Party bei Ashleigh. Und sie war so hübsch«, sagte Devon und brach unvermittelt in Tränen aus. »Ihre Nase sah überhaupt nicht schief aus. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil wir sie immer gehänselt haben. Ich war wirklich gemein zu ihr, Mom.«
»Schätzchen, bitte. Du machst mir Angst. Warum setzen wir uns nicht?«
»Ich will mich nicht setzen. Ich will tanzen gehen.« Devon stellte sich auf die Zehenspitzen und drehte eine unbeholfene Pirouette. »Aber alle anderen wollen bloß rumsitzen und kiffen«, sagte sie, verlor das Gleichgewicht und taumelte in die Arme ihrer Mutter.
»Ist es das?«, fragte Marcy, hielt ihre Tochter eine Armlänge auf Abstand und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. »Hast du Drogen genommen, Devon?«
»Ich hab solchen Durst«, sagte Devon, ohne auf die Frage einzugehen, und löste sich aus Marcys Griff.
»Ich hol
Weitere Kostenlose Bücher