Herzstoss
Mal.«
Liam legte sichtlich fasziniert den Kopf zur Seite. »Das heißt … verwitwet, geschieden, glücklich verheiratet?«
»Getrennt«, sagte Marcy. »Meine Scheidung sollte in gut einem Monat rechtskräftig sein.«
»Und wie fühlen Sie sich dabei?«
»Wie soll ich mich wohl fühlen?« Marcy hörte einen gereizten Unterton in ihrer Stimme.
»Tut mir leid. Ich glaube, dass geht mich definitiv nichts an.«
Marcy trank einen großen Schluck von ihrem Irish Coffee, nicht weil sie ein dringendes Verlangen danach hatte, sondern weil es ihr Zeit zum Nachdenken gab. »Nein, das ist schon in Ordnung. Ich habe bloß noch nie richtig mit jemandem darüber geredet.«
»Möchten Sie jetzt darüber reden?«
»Nein«, sagte sie. Dann. »Vielleicht.« Und dann: »Eigentlich ja, ich glaube schon.«
Liam sah sie erwartungsvoll an.
»Im Grunde gibt es da nicht viel zu sagen«, erklärte Marcy ihm nach einer Pause. »Ich meine, was soll man erzählen? Mein Mann hat mich wegen einer anderen Frau verlassen. Der Klassiker.« Sie atmete erneut tief ein, führte ihren Becher mit Irish Coffee wieder an die Lippen und stellte ihn gleich wieder ab. »Sie haben mich gefragt, wie ich mich fühle. Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin wütend. Nein. Ich bin außer mir vor Wut. Ich fühle mich verraten. Ich fühle mich verlassen. Ich fühle mich beschämt. Ich meine, er hat mich wegen einer Golflehrerin aus unserem Country Club verlassen. So einen Skandal hat es dort seit Jahren nicht gegeben. Und alle meine Freunde …« Sie stieß ein Lachen aus, das eher wie ein scharfes Bellen war. »Meine Freunde? Welche Freunde? Wir hatten eigentlich ohnehin nie viele Freunde, und nachdem dann das mit Devon passiert ist …« Ihre Stimmer verlor sich. »Im Grunde kann ich ihnen keinen Vorwurf machen. Nach einer Tragödie ist es immer schwer für die Menschen. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Und um nicht das Falsche zu sagen oder zu tun, sagen und tun sie lieber gar nichts. Und irgendwann hören sie auf, anzurufen oder vorbeizukommen. Und dann ist man nur noch zu zweit. Und man weiß nicht, was man miteinander reden soll, weil alles, was man sagen könnte, eine potenzielle Landmine ist, die nur darauf wartet, dass man darauftritt, und so was hält eine Ehe nur schwer, wirklich schwer aus«, fuhr Marcy fort, unfähig den Strom von Worten zu stoppen, der aus ihrem Mund sprudelte wie Wasser aus einem Hahn. »Wir hatten schon seit Jahren Probleme, seit offensichtlich wurde, dass Devon, dass Devon, dass Devon …« Sie blieb am Namen ihrer Tochter hängen wie eine Platte mit einem Sprung.
»Erzählen Sie mir von Ihrer Tochter«, sagte Liam leise.
Marcy zögerte, überlegte, welche Fakten sie erwähnen und welche sie weglassen sollte. Sie wollte das bisschen Privatsphäre, das ihrer Tochter geblieben war, nicht verletzen. Im Gegensatz zu Judith wollte Devon nie etwas von sich preisgeben. Sie hatte alles für sich behalten, was ihre Probleme nur schlimmer gemacht hatte.
»Meine Tochter leidet unter einer bipolaren Störung«, stolperte Marcy über die störrischen Silben, die in ihrem Mund Purzelbäume schlugen. »Wissen Sie, was das ist?«
»Ist das das Gleiche wie Schizophrenie?«
»Nein. Devon hört keine Stimmen. Sie ist nicht paranoid. Sie leidet nur unter einem chemischen Ungleichgewicht«, fuhr Marcy fort und versuchte, sich an die genauen Worte zu erinnern, mit denen der Arzt Devons Zustand beschrieben hatte. »Früher nannte man es manisch-depressiv.«
»In einem Moment ist man glücklich, im nächsten weint man sich die Augen aus«, sagte Liam.
»Ich nehme an, das bringt es ganz gut auf den Punkt.«
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich sofort. »Ich wollte nicht oberflächlich klingen.«
Marcy tat seine Entschuldigung mit einem Kopfschütteln ab. »So was liegt offenbar in der Familie. Meine Mutter hatte es auch. Sie hat sich umgebracht, als ich fünfzehn war.«
Wenn Liam schockiert war, ließ er es sich nicht anmerken. »Hat Ihre Schwester sich deshalb entschieden, keine eigenen Kinder zu bekommen?«
»Sie hat auch versucht, es mir auszureden. Sie hat gesagt, ich würde ständig warten und nach Symptomen Ausschau halten. Sie hatte recht.«
»Wann haben Sie es zum ersten Mal bemerkt?«
»Kurz nach ihrem siebzehnten Geburtstag.« Marcy dachte an die schreckliche Nacht zurück, als sie Marcy in der Küche angetroffen hatte, eine zerbrochene Vase zu ihren Füßen, eine Handvoll Salz im
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