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Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
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spürte.
    Sie hörte die mahnende Stimme ihrer Schwester: Es ist nicht gesund, so heiß zu baden .
    »Lass mich in Frieden, Judith«, flüsterte Marcy ungeduldig, ließ sich tiefer in die Wanne sinken und streckte die Beine aus. Das Wasser stieg ihr bis zum Kinn und leckte an ihren Lippen, als sie die Augen schloss und spürte, wie ihr Haar wie Seetang um ihren Kopf trieb.
    Wir verweilten in den Kammern der See , zitierte sie stumm die letzten Zeilen eines ihrer Lieblingsgedichte von T. S. Eliot.
    Von Meermädchen umkränzt mit Seetang, rot und braun./ Bis menschliche Stimmen uns wecken, und wir ertrinken .
    Nach der Entdeckung von Devons gekentertem Kanu hatte Marcy versucht, sich vorzustellen, wie es war zu ertrinken. Sie war wochenlang jeden Tag in die Badewanne gestiegen, hatte das Wasser um sich herum ansteigen lassen und gespürt, wie es an ihrer Haut zerrte wie ein Anker, der sie nach unten zog. Dann tauchte sie langsam und lautlos unter und öffnete den Mund.
    Einmal war Peter hereingekommen.
    Er war ins Bad gekommen, um sich fürs Bett fertig zu machen, und hatte sie untergetaucht in der Wanne liegen sehen. Er hatte sie buchstäblich an den Haaren gepackt und aus dem Wasser gerissen, wie ein Neandertaler, erinnerte sie sich, gedacht zu haben, und sie angeschrien: »Was zum Teufel machst du? Was zum Teufel machst du?« Danach hatte er die Tür mit Zange und Schraubenschlüssel gewaltsam aus den Angeln gehoben, und das Bad war gut eineinhalb Jahre türlos geblieben. Erst wenige Wochen vor seinem Auszug hatte er eine neue eingesetzt, als wollte er unterstreichen, dass sie nicht mehr seine Sorge war.
    Und seine Sorge war auch völlig unbegründet. Sie hätte es nicht durchziehen können. Das Panikgefühl, wenn statt Luft Wasser in die Lungen drang, war so schlimm, dass Marcy es nicht länger als ein paar Sekunden aushielt.
    Hatte Devon die gleiche Panik gespürt? Hatte sie um ihr Leben gekämpft, als das eisige Wasser in ihre Lungen drang? Hatte sie ein letztes Mal nach ihrer Mutter gerufen, bevor sie gestorben war?
    Aber sie war ja gar nicht gestorben, wusste Marcy jetzt.
    »Mein Baby lebt«, flüsterte sie, als das Wasser ihre Ohren umspielte. »Sie ist nicht tot. Sie ist nicht tot«, wiederholte sie, und der angenehme Klang der Worte ließ ihre Trommelfelle sanft vibrieren.
    Nur dass es nicht ihre Worte waren, die in ihren Ohren klingelten, wie ihr nach einer Weile bewusst wurde. Es war ihr Handy. Garantiert ihre Schwester, dachte sie und entschied, das beharrliche Geräusch zu ignorieren, bis ihr schlagartig bewusst wurde, dass es nicht Judith sein konnte. Judith konnte unmöglich ihre Nummer in Erfahrung gebracht haben oder ihren Anruf zurückverfolgt haben. Marcy hatte ihre Nummer bewusst unterdrückt. Nein, der einzige Mensch, der ihre Nummer kannte, war Liam, und sein Anruf konnte nur bedeuten, dass er Devon gesehen hatte.
    Vielleicht war sie in diesem Augenblick bei ihm.
    Marcy sprang aus der Wanne, rutschte auf dem Fliesenboden aus und krachte mit der Hüfte gegen die Badezimmertür. »Verdammt«, fluchte sie und spürte schon, wie sich ein neuer Bluterguss bildete, während sie zum Bett stürzte. Sie konnte sich glücklich schätzen, wenn sie Irland lebend wieder verließ, dachte sie, als sie ihr Handy aufklappte. »Hallo? Hallo?«
    »Hallo?«, antwortete Liam. »Marcy, sind Sie das?«
    »Liam?«
    »Alles in Ordnung? Sie klingen ein bisschen …«
    »Haben Sie Devon gesehen?«
    »Nein«, sagte er. »Sie?«
    Statt zu antworten, brach Marcy in Tränen aus.
    »Marcy, was ist los?«
    »Nichts. Schon gut. Ich dachte bloß …«
    »Sie dachten, mein Anruf bedeutet, dass ich sie gesehen habe«, sagte er. »Es tut mir schrecklich leid. Natürlich mussten Sie das denken.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich sollte keine vorschnellen Schlüsse ziehen.« Dann berichtete Marcy ihm, dass sie Devon noch einmal gesehen hatte.
    »Moment mal«, sagte er, als sie ihre Geschichte beendet hatte. »Sie sagen, Sie wären von einem Fahrrad angefahren worden? Sind Sie verletzt?«
    »Mir geht es gut. Nur ein paar Prellungen. Es war meine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst.«
    »Sind Sie sicher, dass alles okay ist? Sie könnten eine Gehirnerschütterung haben.«
    »Mir geht es gut«, wiederholte sie so müde und geschlagen, wie sie sich fühlte.
    »Und als Sie wieder auf den Beinen waren …«
    »… war sie verschwunden«, sagte Marcy.
    »Nun, ich wünschte, ich hätte Neuigkeiten für Sie …«
    »Warum rufen Sie

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