Herzstoss
er im nächsten Atemzug und blieb vor einem zweistöckigen blauen Haus an der Ecke stehen.
»Das ist es?«
»Nein, das da drüben.« Liam wies mit dem Kinn auf ein rosafarbenes Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit grünen Fenster- und Türrahmen und einer violetten Haustür.
»Da wohnt sie?« Rosa war die Farbe, die Devon am wenigsten mochte. Zu mädchenhaft, hatte sie immer verkündet und sich schon als Kind geweigert, die pinkfarbenen Kleidchen zu tragen, die Marcy für sie gekauft hatte.
»Goat Street fünfzehn«, sagte Liam, zog einen Zettel aus der Tasche und überprüfte die Adresse. »So steht es hier drauf.«
Marcy atmete tief ein und spürte, wie ihre Knie weich wurden.
»Alles in Ordnung?«
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Devon in einem rosafarbenen Haus in einer Goat Street wohnt.«
»Nun, es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.« Er trat auf die Straße.
»Warten Sie. Was, wenn sie nicht zu Hause ist.«
»Dann trinken wir irgendwo einen Tee und kommen später noch mal wieder.«
»Und wenn sie mich nicht sehen will?«
»Wir lassen ihr keine Wahl, Marcy«, sagte er ungeduldig, »was ist? Was ist los?«
»Ich habe Angst.«
»Sie müssen keine Angst haben.« Er nahm ihre Hand, führte sie über die Straße zu der violetten Haustür. »Wollen Sie klopfen, oder soll ich?«
»Ich mache es.« Marcy nahm den Klopfer, ein Kleeblatt aus Messing, und schlug ihn gegen das Holz.
Keine Antwort.
»Sie ist nicht zu Hause«, flüsterte Marcy und kämpfte mit den Tränen.
»Versuchen Sie es noch mal. Ich glaube, ich hab was gehört.«
Marcy legte das Ohr an die Tür. »Ich hör nichts.«
»Versuchen Sie es noch mal.«
Marcy klopfte lauter.
Nach wie vor keine Reaktion.
»Was, wenn sie aus dem Fenster geguckt und mich gesehen hat?«, fragte Marcy. »Was, wenn sie mich gesehen hat und jetzt nicht aufmacht?«
Statt zu antworten, nahm Liam ihr den Klopfer aus der Hand und schlug ihn entschlossen gegen das Holz.
»Sie ist nicht da«, sagte Marcy entmutigt.
»Warten Sie«, sagte Liam. »Ich bin sicher, dass ich jemanden gehört habe.«
»Sie macht nicht auf. Sie will mich nicht sehen.«
»Einen Moment«, rief in diesem Moment eine Frauenstimme von drinnen. »Ich komme ja. Immer langsam mit den jungen Pferden.«
»O Gott.« Marcy hielt die Luft an, als die Tür aufging.
Dahinter stand eine junge Frau mit blonden Haaren und einem offenen fragenden Blick. Sie sah erst Marcy, dann Liam und wieder Marcy an. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
Marcy machte den Mund auf, brachte jedoch keinen Mucks heraus.
»Wir suchen Audrey«, sagte Liam für sie.
»Hat sie irgendwelchen Ärger?«, fragte die junge Frau.
»Nein«, antwortete er. »Wir wollen bloß mit ihr reden.«
»Worüber?«
»Wer sind Sie?«, fragte Liam.
»Wer sind Sie?«, fragte das Mädchen zurück.
»Ich heiße Liam. Das ist Marcy Taggart, Audreys Mutter.«
Der Blick der jungen Frau zuckte zu Marcy. »Audreys Mutter, ja?«
»Ja«, bestätigte Marcy mit einem Seufzer. »Ich bin Dev- Audreys Mutter«, fügte sie ein wenig kräftiger hinzu.
»Na, da schau her. Audrey«, rief die junge Frau ins Dunkel des Hauses. »Du kommst besser mal. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.«
»Ja? Wer denn? Ich bin im Moment nämlich ziemlich beschäftigt damit, deine Muffins zu retten.«
»Ich habe gebacken«, erklärte das Mädchen verlegen, ohne den Blick von Marcy zu wenden. »Die Muffins können warten«, rief sie. »Du hast Besuch.«
»Wer ist es denn?« Vorsichtige Schritte nahten.
»Komm und guck selbst.«
Eine junge Frau trat aus dem dunklen Flur in das warme Sonnenlicht.
Marcy warf einen Blick auf die langen braunen Haare und die dunklen traurigen Augen des Mädchens. Dann sank sie ohnmächtig in Liams Arme.
»Wir müssen reden«, sagte Marcy zu ihrer Tochter.
Sie stand in der Tür zu Devons Zimmer. Draußen goss es in Strömen, und ein kalter Oktoberwind wehte die letzten dunkelgelben und roten Blätter von dem Ahornbaum im Vorgarten gegen Devons Fenster.
»Ich will aber nicht reden«, sagte Devon und ließ sich auf ihr ungemachtes Bett fallen.
»Das musst du auch nicht«, sagte Marcy, trat vorsichtig ins Zimmer und stieg behutsam über die überall auf dem beigefarbenen Teppich verteilten Kleidungsstücke. Marcy erkannte einige als die jüngsten Neuerwerbungen von einem Einkaufsbummel wieder, den sie mit Devon unternommen hatte. Eigentlich hatte sie damit ihrer Tochter eine Freude machen
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