Herzstoss
einem kleinen braunen Samtsofa in einem winzigen Zimmer. An der gegenüberliegenden Wand war ein Kamin, in der Ecke stand ein abgewetzter orangefarbener Sessel. Eine Stehlampe mit einem karierten Schirm und ein Couchtisch voller Wasserflecken komplettierten die Einrichtung. Die Tapete waren hellbraun geblümt. Vor dem Fenster zur Straße hing eine passende Gardine. »Was ist passiert?«, fragte sie ängstlich.
»Sie sind in Ohnmacht gefallen«, erklärte Liam ihr.
Marcy schwang ihre Füße auf den abgetretenen Wollteppich. »Wo ist Audrey?«, fragte sie die junge blonde Frau, die neben Liam stand.
Im selben Moment trat Audrey über die Schwelle, in Händen ein Tablett mit einer dampfenden Kanne Tee, vier Bechern und einem Teller frisch gebackener Muffins. »Ich bin hier.«
KAPITEL ACHTZEHN
»Und wie lange wohnt ihr schon in Youghal?«, fragte Liam und nippte an seinem Tee. Er saß neben Marcy auf dem Sofa. Das etwa dreißigjährige blonde Mädchen hatte den orangefarbenen Sessel an den Couchtouch gezogen und sich darin zusammengerollt. Audrey saß vor ihr auf dem Boden.
»Erst ein paar Monate«, antwortete Claire. »Wir haben noch eine Menge vor mit dem Haus – als Erstes mal diese scheußliche Tapete abreißen und dann Schritt für Schritt alles auf Vordermann bringen. Wie sind die Muffins? Taugen sie was?«
»Sie sind köstlich«, sagte Liam.
»Wir haben den Dreh mit dem Ofen immer noch nicht ganz raus. Er hat so seine Tücken, stimmt’s Audrey?«
Audrey nickte. »Er kann ganz schön nerven«, sagte sie, strich sich eine Strähne hinters Ohr und starrte Marcy direkt an. »Sie haben ja noch gar nichts angerührt.«
»Tut mir leid«, sagte Marcy mühsam. Ihr Hals war so trocken, dass es schon schmerzte zu sprechen, von essen ganz zu schweigen.
»Mögen Sie keine Preiselbeeren?«, fragte Claire.
»Doch, ich liebe Preiselbeeren.«
»Es sind natürlich tiefgefrorene. Aber die sind in Ordnung. Man kann nicht alles frisch kriegen. Vor allem nicht in dieser Ecke der Welt.« Claire biss beherzt in ihr Muffin und trank einen Schluck Tee. »Wie ist der Tee?«, fragte sie.
»Perfekt«, sagte Liam.
Sprachen sie wirklich über Preiselbeeren und Tee, fragte Marcy sich, als sie den dampfenden Becher an die Lippen führte und sich zwang, einen Schluck zu trinken. Die heiße Flüssigkeit rann ihre Kehle hinunter, als hätte jemand ein Streichholz an eine Zündschnur gehalten. Ich brenne, dachte sie, und breche gleich zusammen.
»Das heißt, ihr kocht gerne?«, fragte Liam, offenbar entschlossen, die schwachsinnige Konversation in Gang zu halten.
»Na, ich jedenfalls«, antwortete Claire und gab Audrey einen liebevollen Klaps. »Von der hier kann man das nicht behaupten.«
»Hey, pass auf«, sagte Audrey, packte Claires Hand und hielt sie fest.
Marcy riss unwillkürlich die Augen auf und versuchte, den Blick abzuwenden. Aber Audrey hatte ihre Reaktion bereits bemerkt.
»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte sie.
Marcy zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: Nein, natürlich nicht. Von mir aus können Sie tun, was Sie wollen .
»Ein paar Nachbarn haben die Augen verdreht, als wir eingezogen sind«, sagte Audrey lachend. »Sie hatten wohl Angst, wir würden ihre Töchter zu rasenden Lesben machen.«
»Ja. Aber inzwischen haben sich alle mehr oder weniger eingekriegt.«
»Claire hat sie mit ihren Muffins bezirzt«, sagte Audrey strahlend.
»So etwas war in einem Städtchen von dieser Größe wohl zu erwarten«, sagte Claire.
»Wieso habt ihr euch ausgerechnet hier niedergelassen?«, fragte Liam.
Die Frauen seufzten. »Wir wissen es selbst nicht so genau«, antwortete Claire für beide. »Ich hab in einer Bäckerei in Dublin gearbeitet. Audrey war Kassiererin in einer Bank.«
»Und ich hab es gehasst«, warf Audrey ein.
»Vor etwa einem Jahr haben wir hier Urlaub gemacht. Das Dorf hat uns gefallen, und wir haben beschlossen, unser Glück zu versuchen.«
»Wir wollen ein bisschen Geld sparen und eines Tages unsere eigene Bäckerei aufmachen.« Audrey drehte sich um und lächelte Claire an.
»Das machen wir bestimmt«, sagte Claire. »Du wirst schon sehen.«
»Also, die Muffins sind jedenfalls köstlich«, sagte Liam und wies auf den Tisch. »Was dagegen, wenn ich mir noch eins nehme.«
»Bedienen Sie sich.«
Marcy fragte sich, was er machte. Warum wollte er diese Qual in die Länge ziehen? Hatten sie nicht genug Smalltalk gemacht? Konnten sie nicht einfach hier verschwinden?
»Und wie sind Sie
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