Herzstoss
Sie haben gesagt, dein Hotelzimmer wäre verwüstet worden …«
Eilig berichtete Marcy die Geschehnisse, seit Liam sie vor dem Doyle Cork Inn abgesetzt hatte.
Er stieß ein Geräusch irgendwo zwischen einem Lachen und einem verächtlichen Schnauben aus. »Kann ich dich denn keine Sekunde alleine lassen?«
»Offenbar nicht.«
»Die Polizei glaubt, dass es der Typ war, mit du zusammen warst. Stimmt es, dass er all deine Sachen zerstört hat?«
»Irgendjemand hat meine Sachen zerstört«, sagte Marcy, die immer noch nicht glauben wollte, dass es Vic gewesen war. »Was genau haben die Polizisten denn gesagt?«
»Eigentlich nicht viel. Sie haben bloß eine Menge Fragen gestellt, vor allem über dich. Und deine Tochter.«
»Was für Fragen?«
»Wie lange ich dich schon kenne, über deinen Hintergrund und dergleichen. Ob ich dich für labil halte«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Marcy hielt den Atem an. »Und? Glaubst du, ich bin labil?«, fragte sie mit einem traurigen Lächeln und hoffte, dass Liam ihr nicht böse war.
Nach kurzem Zögern sagte er: »Ich glaube, du bist in Gefahr.«
»Wovon redest du? Natürlich nicht! Wieso sollte ich in Gefahr sein?« Der Gedanke, war ihr bis zu diesem Moment gar nicht gekommen.
»Irgendein Verrückter hat gerade dein Zimmer verwüstet und all deine Sachen zerstört«, erinnerte Liam sie mit Nachdruck. »Er könnte zurückkommen, Marcy. Ich glaube wirklich, du solltest darüber nachdenken, zurück nach Toronto zu fliegen.«
»Ich fliege nirgendwohin.«
»Jetzt bist du einfach nur trotzig. Also gut. Hör zu, wir reden morgen darüber.«
»Es gibt nichts zu bereden. Ich gehe nirgendwohin, bis ich Devon gefunden habe.«
»Also gut«, meinte er nach einer weiteren Pause. »Ich muss Schluss machen. Grogan wirft schon ganz finstere Blicke in meine Richtung. Tust du mir einen Gefallen und bleibst wenigstens heute Abend, wo du bist?«
»Ich weiß nicht. Ich hatte überlegt, ins Mulcahy’s zu gehen.«
»Das Mulcahy’s am Corn Market? Bist du völlig von Sinnen? In den Schuppen kannst du auf keinen Fall alleine gehen. Nein, du bestellst dir beim Room Service was zu essen, legst dich ins Bett und Schluss.«
»Okay«, willigte sie widerwillig ein.
»Versprochen?«
Marcy lächelte. »Du musst dir meinetwegen keine Sorgen machen, Liam.«
»Ich kann offenbar nicht anders.«
»Wir sprechen uns morgen.« Marcy lächelte immer noch, als sie auflegte und das Handy aufs Bett warf. Sie sinnierte müßig, ob Vic in diesem Bett geschlafen hatte, und fragte sich erneut, ob es irgendeine Verbindung zwischen dem milden Mann mittleren Alters aus Chicago und ihrer Tochter geben konnte. Sie ging jede ihrer Begegnungen im Kopf noch einmal durch, rief sich ihre Gespräche in Erinnerung und rekonstruierte so viele Einzelheiten wie irgend möglich. War sein Interesse an ihr mehr gewesen als eine einfache Kombination aus Anziehung und Gelegenheit? Verbarg er hinter seiner vermeintlich unschuldigen Fassade ein dunkles Geheimnis? War er wirklich ein frisch geschiedener Unternehmer im Ruhestand, der noch immer den Tod seiner ersten Frau betrauerte? Oder war alles eine berechnende List gewesen, um sie zu umgarnen und zu entwaffnen? Gab es überhaupt so etwas wie Gadgets, fragte Marcy sich und hätte beinahe laut gelacht. War irgendetwas von dem, was er ihr erzählt hatte, wahr?
Liam hatte recht, entschied sie, als sie ihre Haare mit dem Handtuch abrubbelte. Vor ihren Augen drehte sich alles, und ihre Wange hatte wieder zu pochen begonnen. Sie war nicht in der Verfassung, heute Abend noch einmal auszugehen. Sie würde sich etwas zu essen aufs Zimmer bestellen und zeitig schlafen gehen. Und gleich morgen früh würde sie sich ein paar neue Kleider kaufen.
Wenigstens waren die Fotos von Devon unbeschädigt, dachte sie dankbar, nahm ihre Handtasche vom Schreibtisch und drückte sie an die Brust. Alles, was wertvoll war, alles, was sie wirklich brauchte, war in dieser Tasche – ihr Geld, ihr Pass, ihre Erinnerungen. Sie nahm den inzwischen abgegriffenen Umschlag mit Devons Fotos heraus. »Mein Baby«, flüsterte sie und legte die Fotos vorsichtig auf der glatten Schreibtischoberfläche aus. »Mein wunderschönes Baby.«
Meine wunderschöne Mommy , flüsterte Devon zurück.
Marcy nahm das Bild ihrer eigenen Mutter aus dem Umschlag. »Meine wunderschöne Mommy«, wiederholte sie, legte das Foto neben Devons und staunte über die unheimliche Ähnlichkeit. Zögerlich und mit zitternden
Weitere Kostenlose Bücher