Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
nicht gerechnet. Was für ’ne Überraschung.«
»Keine Sorge, Ed«, verkünde ich leichthin. »Ich habe weder Hummer noch Kaktus bei mir. Ich wollte nur mit James plaudern.«
Ed sieht so entsetzt aus, als hätte ich gerade verkündet, nur mit Nippelhütchen angetan in der Börse einen Nackttanz aufführen zu wollen.
»Der ist noch nicht da.«
Ich bin erschüttert. James kommt zu spät? Hätte Ed verkündet, die Erde sei eine Scheibe, hätte ich kaum verblüffter sein können. James ist jeden Tag um sieben Uhr morgens an seinem Arbeitsplatz. Greenwich könnte die Uhren nach ihm stellen.
»Dann muss er es aber schwer genommen haben mit der Trennung«, sage ich erschrocken. Kein Wunder, dass er er nicht eine einzige SMS von mir beantwortet und nicht ans Telefon geht. Er schämt sich zu sehr, fühlt sich so schuldig, dass er fürchtet zu kollabieren, wenn er mit mir spricht.
»Na ja, äm«, sagt Ed.
»Mach dir keine Sorgen. Ich werde ihm nicht sagen, dass du es mir erzählt hast. Ich weiß, dass es ihm unangenehm wäre, wenn so was am Arbeitsplatz zur Sprache kommt.«
Ed lächelt matt. »Ich sage James, dass du vorbeigeschaut hast. Du kannst ruhig wieder heimfahren, ich richte ihm aus, dass er dich anrufen soll.«
Ich kann dezente Hinweise schon deuten. »Wann kommt er denn? Soll ich um die Mittagszeit noch mal vorbeischauen? Oder findet er immer noch, dass Lunch was für Weicheier ist?«
Ich lache, aber Ed verzieht keine Miene. Er schaut vielmehr mit starrem Blick auf ein feuerrotes Mercedes-Cabrio, das mit quietschenden Reifen am Fuß der Treppe zum Stehen kommt. Die Fahrerin, die eine windgezauste blonde Mähne hat und eine gigantische Sonnenbrille trägt, küsst den Beifahrer, der den Kuss so leidenschaftlich erwidert, dass die ganze Szene schwer nach Sex auf dem Armaturenbrett aussieht.
Den Beifahrer, bei dem es sich zweifellos um James handelt.
Mir gerinnt das Blut in den Adern.
»Tut mir leid, meine Gute«, sagt Ed.
Mein Magen rebelliert, und einen grässlichen Moment lang fürchte ich, dass der Muffin und der Milchkaffee gleich wieder ans Tageslicht kommen. Ich schlucke hastig.
»Wer zum Teufel ist das?«
»Alice Saville.« Ed weicht meinem Blick aus. »Sie macht hier ein Praktikum. Sie, äm … sie wurde James zur Seite gestellt.«
»Das ist unübersehbar.« Alice – die höchstens achtzehn sein kann – und James knutschen immer noch wie die Wilden.
»Wenn der Vater Vorstandsvorsitzender ist, kann man seine Arbeitszeit selbst bestimmen«, erklärt Ed jetzt. »Sie kommt immer zu spät. Vor allem seit sie mit James zusammen ist.«
Kein Wunder, dass keine SMS von mir beantwortet wurde.
»Wie lange geht das schon?« Ich kann den Blick nicht von den beiden wenden; es kommt mir vor, als seien sie Augenmagneten oder so was. »Und komm nicht auf die Idee, mich anzulügen, Ed.«
Der arme Ed murmelt in Richtung seiner Füße: »Einen Monat?«
Ich bin kein Mathegenie, aber das ist wohl deutlich länger her als die desaströse Essenseinladung. Ich nehme Alice Saville mit ihrer Honighaut und ihren platinblonden Haaren noch mal genau in Augenschein. Nun weiß ich, warum James mich rausgeschmissen hat. Es hatte weder mit Hummern noch mit Hunden oder Kakteen zu tun. Nicht einmal damit, dass ich nicht Kleidergröße 38 habe. Er hatte einfach etwas Besseres gefunden.
»Das hält bestimmt nicht«, sagt Ed hastig. »Aber du weißt ja, wie sehr James es mit dem Geld hat.«
Kann man wohl sagen. In letzter Zeit hat er offenbar kaum mehr an was anderes gedacht. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft er ins Telefon geschrien hat, dass Bezugsfristen verlängert oder andere Optionsanleihen erwogen werden sollten.
»Es geht das Gerücht um«, raunt Ed, »dass er ein paar Fehler beim Spekulieren gemacht hat. Vielleicht braucht er Alice, damit sie ihm aus der Klemme hilft.«
»Ed, bemüh dich nicht. Es ist nett von dir, dass du mich trösten willst, aber es hat keinen Sinn.« Ich fege mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Sie sieht umwerfend aus, und er ist verrückt nach ihr. Das war’s.«
Krampfhaft bemüht, einen Rest von Würde zu wahren, verabschiede ich mich hastig von Ed und renne los. Jetzt kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie laufen mir über die Wangen und tropfen aufs Pflaster. Ich höre, wie Ed mir etwas nachruft, aber es ist mir egal. Ich will nur noch weg. Ich glaube, ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie idiotischer oder gedemütigter gefühlt.
Und das will was
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