Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
will das Schicksal dir damit etwas sagen?«
Ich taste unwillkürlich nach dem kleinen Pflaster an meiner Brust und bin ganz berauscht vor Erleichterung, wenn ich daran denke, wie das hätte ausgehen können. Und ich fühle mich schuldig, weil ich hier herumhocke und mich über mein verhunztes Liebesleben auslasse, während ich doch lieber dankbar sein sollte für die glückliche Fügung.
»Keiner von uns weiß, wie viel Zeit er hat«, seufzt Jewell und tätschelt mir die Hand. »Wir sind es uns selbst schuldig, jede einzelne Minute unseres Lebens zu genießen.«
Sie sieht so wehmütig aus, als sie das sagt, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme. In einer Seifenoper würde sie jetzt erklären, dass sie nur noch wenige Wochen zu leben hat, und mich inständig darum bitten, loszuziehen und an ihrer statt das Leben in vollen Zügen zu genießen. Doch zum Glück sind wir im wirklichen Leben. Jewell äußert nichts dergleichen, sondern wirft mir ein sonniges Lächeln zu, und die düstere Stimmung verfliegt.
»Lieber Himmel! Wie trübsinnig!« Jewell lässt meine Hand los, stemmt sich hoch und tappt schwerfällig zum Küchenschrank. Sofort streicht ihr eine Schar flauschiger Tiere um die Knöchel, und lautes Schnurren ertönt, als Jewell vier Dosen Whiskas öffnet und den Inhalt mit einer Gabel in diverse Fressnäpfe befördert. Ich nehme mir einen gefüllten Keks und kaue nachdenklich. Bin ich zu abhängig von Männern? Bin ich unfähig, für mich selbst zu sorgen?
Ich kann nur hoffen, dass es sich nicht so verhält, sonst bin ich angeschmiert.
Und plötzlich weiß ich es. Es liegt so nahe, dass ich laut auflache. Ja, ich weiß ganz genau , was ich tun will. Ich habe es schon immer gewusst. Und Tante Jewell wird der Plan auch gefallen, denn er hat rein gar nichts mit Männern zu tun.
Na ja, indirekt vielleicht schon, aber nicht mit echten Männern.
»Ich will schreiben!«, rufe ich aus. »Ich will ausprobieren, ob ich es wirklich kann. Ich will weg aus London, durch Moore stapfen und im Regen spazieren gehen. Ich will mir die Gelegenheit geben herauszufinden, ob aus mir wirklich eine Schriftstellerin werden kann.«
Oder ob meine Geschichten tatsächlich erbärmliches Geschmiere sind, verfasst von einer Lehrerin aus einer miesen Prol-Schule, wie James es so charmant formuliert hat. Ich möchte eine Auszeit, in der ich mich ausschließlich mit schmucken Banditen und leidenschaftlichen Piraten befassen darf.
Jewell klatscht in die Hände. »Gute Idee! Dann solltest du genau das tun!«
»Ja, aber das ist Traumstoff. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Wo soll ich leben? Und wovon? Wie soll ich meine Kreditkartenrechnungen bezahlen?«
Letzteres macht mir zunehmend Sorgen. Die Rechungen – die, übrigens auch durch James, der in meinem Namen Geld ausgibt, zu astronomischen Summen auflaufen – sind inzwischen so hoch, dass der Everest dagegen wie ein Ameisenhügel wirkt.
»Geld? Pah!« Jewell feuert die leeren Dosen in den Abfalleimer. »Davon solltest du dich nicht von der Verwirklichung deiner Träume abbringen lassen. Kündige deine Arbeit, zieh für eine Weile bei mir ein und schau, wonach dir der Sinn steht. Oder besuch die nette Maddy in Cornwall. Und was die Rechnungen angeht …« Sie kramt in einer voluminösen Handtasche herum und bringt ein Scheckbuch zum Vorschein, »da spiele ich gern mal die gute Fee. Ich bezahle deine ganzen wüsten Schulden, damit du dich aufs Schreiben konzentrieren kannst, und bevor du widersprichst«, fügt sie rasch hinzu, als sie sieht, wie ich den Mund aufmache, »sage ich dir auch noch, dass ich jeden Cent zurückhaben will, sobald du deinen ersten Vorschuss kriegst. Möglicherweise verlange ich sogar eine prozentuale Beteiligung am Umsatz. Das wäre doch ein fairer Deal, oder? Und vergiss nicht, wie viel Geld ich nun für das Hochzeitsgeschenk spare.«
»Tante Jewell, ich kann mir kein Geld von dir borgen. Und schon gar nicht auf deine Kosten leben.«
Sie wirft mir einen durchtriebenen Blick zu. »Einen kleinen Teilzeitjob musst du dir ohnehin suchen, Schätzchen; so reich bin ich nicht. Aber ich gebe lieber dir Geld, als James noch mehr zu leihen.«
»Du hast James noch mal Geld geliehen?« Mir klappt die Kinnlade runter.
Jewell nickt. »Hier mal tausend, da mal tausend, Liquiditätsprobleme, wie er sagte, aber ich fing schon an, mich zu fragen, was da los ist, Liebes. Und glaub bloß nicht, mir wäre nicht aufgefallen, mit welchem Blick er mein Haus betrachtet hat, um
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