Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
den Wert einzuschätzen. Der hatte Pfundzeichen in den Augen. In dieser Hinsicht ist er seiner Mutter viel zu ähnlich. Ich mag James gerne, Schätzchen, und ich habe mich gefreut, als ihr euch wiederbegegnet seid, aber ich muss mir doch ab und an Gedanken über seine Motive machen.«
Dazu kann ich nicht viel sagen, weil ich mir diese Gedanken inzwischen auch mache. Ich schäme mich für James und noch mehr für mich selbst, weil ich außerstande war, ihn zu durchschauen. In meinem Fall hat die Liebe nicht so sehr blind gemacht als vielmehr taub und obendrein dumm wie Bohnenstroh.
»Aber James verdient doch haufenweise Geld«, wende ich ein. »Wozu musste er sich da von dir was leihen?«
Jewell zuckt die Achseln. »Keine Ahnung, Liebes, aber Cordelia hatte schon immer hohe Ansprüche. Vielleicht hat das auf James abgefärbt.«
Ich denke an die maßgefertigten Schuhe und die Designerhemden in seiner Hälfte des Kleiderschranks, während ich mich mit Billigklamotten aus dem Supermarkt zufriedengebe.
Ja, man kann mit Recht behaupten, dass James großen Wert auf Qualität legt. Aber sie auch zu bezahlen scheint für ihn auf einem anderen Blatt zu stehen.
»Aber scher dich nicht mehr um den, der ist Geschichte«, sagt Jewell jetzt entschieden. »Du solltest nach vorn schauen, Liebes. Hol eine Flasche Moët aus dem Kühlschrank und lass uns auf deine beginnende Laufbahn als Autorin anstoßen!«
Ich weiß aus Erfahrung, dass es kein Halten gibt, wenn Jewell sich was in den Kopf gesetzt hat. Da wäre es Knut dem Großen noch eher gelungen, die Flut zum Zurückweichen zu bewegen.
Jewell entkorkt die Flasche, schenkt ein und hält ihr Glas hoch. »Auf Katy Carter, ihre neue Karriere und einen neuen romantischen Helden!«
Als wir anstoßen, bemühe ich mich, unabhängig und dynamisch auszusehen, aber innen drin fühle ich mich leider ganz anders.
Ziemlich einsam nämlich.
Und ausgesprochen verängstigt.
12
W i r erreichen in Kürze Liskeard! Nächster Halt ist Liskeard!«
Ich bin völlig verdattert über diese näselnd vorgetragene Ankündigung und kriege fast einen Schock, als ich mich unversehens in einem Zugabteil wiederfinde, das so vollgestopft ist, dass eine Sardinenbüchse dagegen geräumig wäre. Mein Stift verharrt über meinem neuen Notizbuch, und ich frage mich, wo denn plötzlich Millandra und das Schloss geblieben sind.
Noch nie ist Zeit so langsam vergangen wie auf dieser Zugfahrt von Paddington Station nach Cornwall. Als ich noch zur Schule ging, fand ich eine Doppelstunde Mathe unerträglich, aber das war nichts gegen den Aufenthalt in diesem überfüllten Zug. Ich sitze neben einer Person mit einem massiven Hygieneproblem, atme deshalb schon seit Reading nur durch den Mund und höre mich an wie Darth Vader. Und wieso bin ich vom bloßen Herumhocken so müde? Das sollte ich doch mühelos beherrschen. Wenn Auf-dem-Arsch-Sitzen eine olympische Disziplin wäre, würde ich bestimmt Gold holen.
Irgendwann begab ich mich in den Speisewagen, wobei ich durch das Ruckeln des Zugs torkelte wie eine Besoffene und bei jedem Schlingern andere Fahrgäste malträtierte. Mit einem Snickers, einem Becher Kaffee und diversen Verbrennungen zweiten Grades gelangte ich schließlich wieder zu meinem Sitzplatz, wobei ich mich an Stink-Mann vorbeiquetschen und mich mit zahlreichen Verrenkungen um sein Gepäck herumschlängeln musste. Dann mampfte ich mein Snickers und sann darüber nach, ob ich mich richtig entschieden hatte. Wenn es mir derart mies geht, starte ich normalerweise eine gigantische Einkaufstour und verbrenne Kohle, bis die Kreditkarte schmilzt. Aber sonderbarerweise hat das gerade gar keinen Reiz für mich, was vermutlich daran liegt, dass ich von jetzt an jeden Cent umdrehen muss. Außerdem habe ich einige merkwürdige Briefe von James bekommen, in denen er fordert, dass ich mich an diversen Rechnungen und sogar an der Abzahlung der Hypothek beteilige.
Nun, das kann er vergessen. Wieso sollte ich? Ich lebe nicht mehr mit ihm zusammen, und abgesehen davon verdient er viermal so viel wie ich. Soll sich doch Scheißalice Saville darum kümmern.
Ich schaue aus dem Fenster auf die sanfte grüne Hügellandschaft, die wirklich wunderschön ist. So komisch es klingen mag: Ich bin tatsächlich noch nie weiter nach Westen gekommen als bis nach Devon, weshalb diese Reise in gewisser Weise ein echtes Abenteuer für mich ist. Ich wage mich mutig in unbekannte Gefilde und staune über die fremdartige Landschaft. Die
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