Herztod: Thriller (German Edition)
wusste nicht, wie tapfer sie unter der Folter sein würde. Darauf war sie nicht vorbereitet, weil man sich darauf nicht vorbereiten konnte. Wie viel Schmerzen würde sie aushalten müssen? Und was war sie bereit zu geben, damit der Schmerz aufhörte – und sei es nur für einige Minuten?
Sie drehte den Kopf zur Tür, als sie das Geräusch eines zurückschnappenden Riegels hörte. Ein schmaler Lichtstreifen fiel in den Raum, und zwei Männer traten ein, die sich nicht mal die Mühe gemacht hatten, eine Maske überzustreifen. Einer von ihnen war Igor, den anderen hatte sie noch nie gesehen. Er war groß und bullig.
»Das ist Mischka«, sagte Igor und griff hinter sich nach einem Stuhl. »Er wird dir wehtun, wenn du uns anlügst.« Er lächelte. »Verstanden?«
Irina nickte. Ihr Herz hämmerte. Sie werden mir so oder so wehtun, dachte sie. Hatte sie die letzte Nachricht an Boris aus dem Handy gelöscht? Sie war sicher, aber nicht hundertprozentig sicher, und das war in ihrer Situation verdammt schlecht. Mischka zog sich ebenfalls einen Stuhl heran, er würdigte sie keines Blickes, sondern betrachtete seine Fingernägel und rülpste.
»Wonach hast du gesucht?«, fragte Igor.
»Nach Geld.«
Igor warf Mischka einen Blick zu. Der stand auf, löste ihre Handfessel und brach, ohne jegliche Anstrengung und ohne eine Miene zu verziehen, ihren Zeigefinger.
»Du machst es dir unnötig schwer«, meinte Igor, als ihr Schrei verklungen war.
»Mischka wird dir alle Finger brechen, dann die Kniescheiben zerschmettern, er wird dich auf höchst unerfreuliche Weise vergewaltigen, ich werde ihn dabei unterstützen, und schließlich wirst du darum flehen, dass wir dich töten. Ist es das, was du willst?« Er schüttelte mit leisem Schnalzen den Kopf. »Nein, oder? Niemand will das.«
Irina versuchte gleichmäßig zu atmen. Ihr Finger schwoll an. Sie war kurz davor, sich zu übergeben. Ich bin nicht gut im Aushalten der Folter, dachte sie. Eigentlich hatte sie mehr Widerstandskraft, mehr Mut und innere Stärke von sich erwartet, aber Schmerz und Angst machen klein und schwach.
»Also – wonach hast du gesucht?«
»Unterlagen«, flüsterte sie. »Irgendwelche auffälligen Unterlagen.«
»Genauer.«
Ein letzter Versuch, dachte sie. Ein oder zwei gebrochene Finger spielten keine Rolle. Der Schmerz des ersten Bruchs loderte noch so stark, dass sie den zweiten weniger spüren würde. War es nicht so? Man konnte nicht zwei Schmerzquellen zugleich spüren. Darüber hatte sie mal etwas gelesen. Außerdem würde sie sich nicht vergeben, wenn sie sofort nachgab,selbst wenn ihr für das Verzeihen bei näherer Überlegung kaum noch Zeit bleiben würde. »Geldwäsche«, schob sie mühsam hinterher. »Ilja wird verdächtigt, aber wir haben nichts Konkretes in der Hand. Darum sollte ich nachforschen.«
Ilja starrte sie sekundenlang an, dann der Seitenblick zu Mischka. Der zweite Finger. Sie übergab sich. Die Sache mit der zweiten Schmerzquelle war falsch gewesen. Sei tapfer, flüsterte sie lautlos, sie töten dich sowieso. Wer Kinder tötet, schreckt vor nichts zurück. Sie nahmen sich eine Stunde Zeit, ihr alle erdenklichen Qualen zu bereiten. Ihre Kniescheiben verschonten sie, wie auch die Finger ihrer rechten Hand, warum auch immer. Sie war kurz davor, sich mit dem Tod anzufreunden, als sie endlich von ihr abließen.
»Vielleicht sagt sie die Wahrheit«, meinte Mischka, und Irina hörte, wie er den Reißverschluss seiner Hose hochzog.
»Vielleicht ist zu wenig, aber besser als gar nichts. Wir bringen sie rüber. Ich will mehr von ihr hören. Außerdem können wir später noch einiges von ihr verwenden. Man kann ja nie wissen.« Er lachte. »Fahr den Wagen an die Rampe.«
Irina hielt die Augen fest geschlossen. Lieber Gott, was muss ich tun, damit du mir die Gelegenheit gibst, die beiden zu töten?
Hannah klopfte und trat ein. Sie hatte das Verhör einige Minuten konzentriert verfolgt, während sie einen Espresso trank, und spontan beschlossen, sich dazuzusetzen, während Schaubert in der Zwischenzeit ein weiteres Mal mit Biltner sprach und ihn mit belanglosen Fragen zu zermürben versuchte. So hatte der LKA-Mann es ausgedrückt. Hannah war der Ansicht, dass er sich glücklich schätzen konnte, wenn es ihm in der jetzigen Situation gelang, Biltner schlicht auf die Nerven zu gehen.
Folk wirkte angeschlagen und unruhig. Jan Pochna lächelte ihr herzlich entgegen und machte eine einladende Handbewegung. »Das ist Kommissarin Hannah
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