Herztod: Thriller (German Edition)
früh gefunden. Sie ist ermordet worden.«
Rudi Meisner zog die Schultern ruckartig zusammen. Mehrere Minuten lang sagte er kein Wort, sondern atmete nur angestrengt. »Sie war ein seltsames Mädchen«, flüsterte er plötzlich. »Ich hatte immer das Gefühl, dass man auf sie aufpassen muss.«
»Weil sie die Gefahr liebte?«
»Nein. Weil sie gar nicht liebte.«
Kühles Herz, dachte Hannah. »Herr Meisner, darf ich Ihnen einige Fragen stellen?«
Er nickte.
»Haben Sie mit Ihrer Enkelin gesprochen, seit sie am Donnerstag plötzlich wieder aufgetaucht ist?«
»Sie hat nur kurz angerufen und sich entschuldigt«, erwiderte Rudi Meisner leise.
»Wie kam das bei Ihnen an? Wie klang sie?«
Meisner überlegte einen Moment. »Unehrlich. Sie hat sich entschuldigt, weil man das von ihr erwartete. In Gedanken war sie woanders, aber fragen Sie nicht, wo … Keine Ahnung.« Er hob den Kopf. Sein Gesicht war nass. »Wie ist sie gestorben?«
»Details können wir noch nicht …«
»Ich will auch keine Details hören!«
Hannah nickte. »Sie ist erstochen worden«, entgegnete sie leise.
Carolines Großvater erhob sich abrupt. »Ich sag den anderen Bescheid«, erklärte er mit brüchiger Stimme und schob sich an ihr vorbei, um das Haus durch einen Hintereingang zu betreten. »Warten Sie bitte.«
Einige Minuten später öffnete sich die Hintertür erneut. Martina Meisners Gesicht tauchte auf. Es war kalkweiß. »Bittegehen Sie«, sagte sie gedämpft. »Wir können jetzt nicht mit Ihnen reden.«
»Frau Meisner, wir befinden uns in einer Mordermittlung. So leid es mir tut, aber ich muss Ihnen einige Fragen stellen.«
Carolines Schwester drehte sich wortlos um und verschwand im Inneren, aber sie schloss die Tür nicht hinter sich ab, und Hannah folgte ihr. Die Familie saß in der Küche am Esstisch. Niemand hatte Caroline seit ihrer Rückkehr gesehen oder wusste, welche Pläne sie für die nächsten Tage gehabt hatte. Auch die Eltern waren lediglich mit einem kurzen Telefonat abgespeist worden, wie Herbert Meisner es ausdrückte. Er war bleich und hielt seine Frau im Arm, die die Nachricht kaum begreifen konnte und unfähig war, etwas zu sagen. Die übliche Frage nach den Alibis blieb Hannah erspart, als Daniel Gruber erwähnte, dass der Fahrradladen am Samstag eine Grillparty veranstaltet hatte, zu der langjährige Kunden eingeladen gewesen waren.
»Es war richtig schön«, fügte er im Flüsterton hinzu. »Wir haben bis in die Nacht hinein im Garten zusammengesessen, und Rudi hoffte, dass Caroline vielleicht doch noch kommen würde, aber …« Er brach ab und schüttelte den Kopf.
»Vielleicht lebte sie schon gar nicht mehr, als wir hier fröhlich feierten«, warf Martina ein. »Was für eine fürchterliche Vorstellung!«
Der gleiche Gedanke war Hannah nur Sekundenbruchteile zuvor durch den Kopf geschossen.
Kriminalhauptkommissar Jan Pochna hatte den Part übernommen, mit den Fotos von Tür zu Tür zu gehen, in der Hoffnung, dass der eine oder andere Hausbewohner mit konkreten Hinweisen zu den abgebildeten Personen helfen konnte, während Florian Decker mit einem Technikteam jeden Winkel der Wohnung des Opfers durchsuchte. Jan wühlte ungern in den Sachen fremder Leute, egal, in welchem Milieu sie gerade ermittelten. Seit er vor vielen Jahren als blutjunger Kommissaranwärtermal in einem Besenschrank über eine halbverweste Leiche gestolpert war, riss er sich nicht um Hausdurchsuchungen. »Vor einer Überraschung kann man in unserem Job nie sicher sein«, hatte sein damaliger Partner lakonisch kommentiert, während Jan in den Hinterhof gestürzt war, um sein Frühstück auszuspucken.
Jan schüttelte die Erinnerung ab und klingelte zum zweiten Mal bei Thomas Kollbach. Während der ersten Runde durchs Haus hatte der Nachbar von Caroline Meisner nicht regiert, und die bisherige Ausbeute bei den anderen Bewohnern war alles andere als zufriedenstellend gewesen. Die Abgelichteten wohnten entweder im Haus, waren zu Besuch gewesen oder völlig unbekannt. Ein Jurist im obersten Stockwerk hatte natürlich sofort misstrauisch nachgefragt, woher die Fotos stammten.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, hatte Jan erwidert und stumm hinzugefügt: Du Pfeife, hast wohl gerade ein Seminar zum Thema Datenschutzrichtlinien besucht, aber wir haben eine Leiche und sind froh über jeden Hinweis. Sein Gesichtsausdruck hatte wohl Bände gesprochen, denn der Jurist war zwei Schritte zurückgetreten und hatte sich weitere Einwände
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