Herzüberkopf (German Edition)
konzentrierte. Für zwei Atemzüge blieb es still im Hörer.
„Na, hast du viele Haare krumm gemacht heute?“, floss Leas Stimme direkt durch Louis‘ Sinne; weich und wach. Und über diese Aussage musste Louis unwillkürlich grinsen. Er liebte Leas Anderssein in so vielen Beispielen, in denen sie ihm ihre ganz und gar eigene Ausdruckswelt schon präsentiert hatte.
„Lea“, antwortete Louis, „wie schön, dich zu hören“, und er lachte dazwischen und sagte:
„Ja, ich habe viele Haare krumm gemacht – allerdings konnte ich mich kaum konzentrieren, nachdem du mir das Fax gesendet hattest. Lea … das hat mich umgehauen“ und als er das gesagt hatte und hörte, dass Lea etwas darauf sagen würde, unterbrach er sie schnell und sagte:
„Lea, … ich habe mich unglaublich gefreut, weil … weil ich dich liebe“ und er wartete, … blieb still für einen Augenblick und Lea sagte nichts, aber er spürte, dass sie da war, vielleicht nichts sagen konnte. Es war ein unglaubliches intimes Gefühl, welches direkt vom Herzen heraus kam und den direkten Weg fand; da sprach er weiter, nachdem er zuvor schlucken musste:
„Lea, ich wollte es dir ebenfalls mitteilen … ja, und da kamst du mir zuvor. Du hast es geschrieben. Und da hörte er ihre gerührte Stimme wie sie fast flüsterte:
„Und jetzt weiß ich nichts zu sagen; außer: Es fühlt sich gut an … einfach sehr schön, das Gefühl so zu haben“.
„Lea, weißt du, … bei mir ist alles durcheinander …“ und Louis erzählte Lea von den Narrheiten, die ihm widerfahren waren und Lea lachte sich am Hörer kaputt und erzählte ihrerseits Ähnliches, wobei Louis bei der Vorstellung vor Lachen kaum mehr sprechen konnte. Wenn sie am Stück längere Zeit etwas erklärte, hörte er ihr so intensiv zu, dass er vermeinte, ihren Duft durch den Hörer wahrzunehmen. Über zwei Stunden lang redeten sie über sich; über ihre Sinneserlebnisse, seit sie sich kennen gelernt hatten; darüber, was sie unternehmen wollten, wenn Lea wieder aus Korfu zurück war. Als sie sich verabschiedeten und sich gegenseitig eine gute Nacht wünschten, dauerte das eine weitere Dreiviertelstunde. Zum Schluss erwähnte Lea noch, dass Louis sich bitte nicht wundern solle, wenn sie von Korfu lange nicht anrufen würde, da bei der Besprechung bereits erwähnt worden sei, dass die einzige Telefonzelle, welche bei dem Camp existiere, ständig belagert wäre und die Warteschlange davor nervenzerreibend lang sein würde. Nicht selten wäre sie auch defekt und zur nächsten Station sei der Weg sehr weit. Zudem wäre sie voraussichtlich mit der Gruppe ziemlich eingespannt und unter Stress ließe es sich ohnehin nicht gut reden. Louis sah das ein und meinte nur, dass ihm das Warten wohl schwer fallen werde. Er kannte sich soweit gut genug und wurde wie immer, nicht selten, mitten in einem Dilemma zuversichtlich und sogar heiter darüber, dass es ihm gelingen würde, eine Lösung zu finden. Seine Tante Luise hatte früher, als er noch ein Kind war, in brenzligen Situationen stets zu ihm gesagt, er solle immer versuchen, Teil einer Lösung zu sein und nicht Teil eines Problems. Diese Worte seiner Tante hält Louis bis heute in hoher Ehre und denkt meist im rechten Moment daran, was ihm sogleich Zuversicht schenkt.
Als Lea und Louis ihr Gespräch beendet hatten, saß Louis versonnen im Schneidersitz auf dem Boden, mit dem Blick durch die Glastür, die zur Laube an dem alten Stadthaus zeigte. Von hier konnte er den Himmel über dem bewaldeten Horizont beobachten; hier saß Louis oft und am liebsten. Er bevorzugte schon immer auf dem Boden zu sitzen; aufrecht wie bei einer Meditation, was er sehr häufig praktizierte; einfach die Stille atmend oder auch klassische Musik hörend. Innerlich musste er sich zügeln, denn er war in Anbetracht der Situation, dass er Lea nun zwei Wochen nicht sehen konnte, sehr nahe an dem Gedanken, jetzt sofort aufzubrechen und sie mitten in der Nacht noch aufzusuchen, um sie kurz zu sehen. Doch Lea hatte davon gesprochen, dass sie leider sehr früh am anderen Morgen aufstehen musste, da die Abfahrt der Reisegruppe mit dem Bus um 7.00 Uhr erfolgte. Aufgerührt saß Louis noch eine ganze Weile und verfolgte den zunehmend dunkel werdenden Himmel, wie er mit Hilfe des Westwindes schwere Wolken rasch nach Osten zu kehrte.
Aufbruch
Dein Blau. (aus Zeitentiefe – Ludwig Kupka)
Will Dich spüren und will fühlen, wie die Hände
sich berühren.
Bin Deinem Blau
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