Herzüberkopf (German Edition)
dem Meer gestrandet und dachte an die Geschichte von Odysseus. Es fehlte nur, dass gleich einige der damaligen Eingeborenen, die Phäaken, urplötzlich vom Wald her auftauchten.
„Ganz egal“, dachte er, „wenn die mich zu Lea führen, ist auch die wildeste Sorte willkommen“. Louis hatte Durst. Meerwasser kam nicht in Frage, aber an einem Strand gab es gewöhnlich Duschen mit Trinkwasser und soweit er sich an die Beschreibungen von Korfu erinnern konnte, war das Wasser aus den Leitungen genießbar. Er stand also auf und ging ein Stück den Strand entlang. So fand er tatsächlich die Duschvorrichtung, zog den Hebel beiseite und schon rieselte lauwarmes Wasser von oben herab. Es war ja niemand da und so beschloss Louis sich seiner Kleidung zu entledigen und, nachdem er einige Schlucke Wasser getrunken hatte, kurz einmal ins Meer hinauszuschwimmen. Seine Sachen nahm er bis vor die Wassergrenze mit, legte sie in den Sand und watete durch das wunderbar warme Meerwasser. Was für eine Wohltat empfand er, nach solch einem strapaziösen Tag. Und er hätte nicht im Traum daran gedacht, dass er in den tiefen Nachtstunden ausgerechnet in Korfu baden gehen würde. Louis hoffte, dass seine Sachen noch da waren und malte es sich schon mit Bedenken aus, was wäre, wenn plötzlich seine Kleider fehlten. Doch als er aus dem Wasser watete, sah er sein inzwischen wohl nicht mehr ganz weißes Hemd am Strand im Nachtlicht schimmern. Seine Sachen waren unberührt geblieben. Louis zog sich an und legte sich unweit vom Motorroller in den Sand, lauschte ein wenig dem Meeresrauschen, beobachtete den Sternenhimmel, der sich inzwischen immer klarer zeigte und schlief kurz danach gegen seinen ursprünglichen Willen ein. Etwas kühles feuchtes Unbekanntes, welches sich an Louis‘ Ohr und Gesicht entlangtastete, weckte ihn. Zunächst wischte er sich noch im Halbschlaf befindend, mit dem Unterarm übers Gesicht. Dann hörte er ein Fiepen … ganz nah über seinem Kopf. Er riss die Augen auf, bewegte sich aber keinen Millimeter, weil er indes begriffen hatte, dass es sich um irgendein Tier handeln musste. Sein Puls vollzog einen Blitzstart in die dreistelligen Drehzahlen. Wieder schnüffelte das Ungeheuer an Louis Stirn und jetzt roch es auch deutlich nach einem Hund. Sein Fiepen verriet, dass es keine Blutbestie sein konnte und so stützte Louis sich langsam auf seine Ellbogen. Jetzt rannte der Hund um ihn herum. Es herrschte dunkle Nacht und Louis konnte das Tier nur undeutlich erkennen. Ein Besitzer schien nicht in der Nähe zu sein – also konnte es sich um einen Streuner handeln – allem Anschein nach, ein zahmer Streuner. Als Louis sich aufrichtete, duckte der Hund sich verschreckt und fiepte erneut. Louis war heilfroh, dass es nun doch kein Ungeheuer war und bückte sich zu dem Tier hinunter. Der Mischling hatte ein ziemlich struppiges Fell und schien zwar wohlgenährt, doch ohne Heim und Herr zu sein. Louis streichelte das verschmuste Tier, das sich spontan in den Sand warf und die Streicheleinheiten zu genießen wusste.
„Du weißt sicher, wo Vatos liegt, kannst du mich nicht dorthin führen? Tja … von Lea habe ich leider kein Stoffteil dabei, sonst könnten wir beide auf Fährtensuche gehen“, sagte Louis zu dem nächtlichen Besucher, dessen glitzernde Augen er gegen den spärlich beleuchtenden Nachthimmel erkennen konnte. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass Louis über drei Stunden geschlafen hatte und bald der Morgen graute. So setzte er sich noch einmal zum Vergnügen des Vierbeiners in den Sand und überlegte, wie er weiter vorgehen konnte. Es half alles nichts; er musste dieses Vatos finden … ebenso die Busse mit dem Kennzeichen aus Emmendingen. Doch wozu auf den Tag warten? Da hätte er sich ebenso wenig ausgekannt. Gut, fragen hätte er leichter gekonnt, im Gegensatz zur Nacht, wo um diese Uhrzeit keine Seele unterwegs war, wenn er von dem nächtlichen Besucher mit Fell neben ihm absah. Nichtsdestoweniger; Louis saß wenig später auf seinem Roller und fuhr davon. Er hatte sich noch von dem vierbeinigen Eingeborenen verabschiedet und gehofft, dass er ihm nicht hinterherlaufen würde. Die Befürchtung hatte sich erledigt; als der Motor des Rollers aufheulte, suchte das Tier das Weite.
Auf dem ersten Hinweisschild an der Straße erkannte Louis das Wort Kerkira. Also war er richtig, wenn es zunächst ein Stück zurückging. Er fuhr langsam durch die Nacht und hatte zuvor den Scheinwerfer des Rollers etwas mehr in
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