Herzüberkopf (German Edition)
wollte er und sollte er nicht. Dementsprechend wählte er erneut die für ihn nicht lesbare Richtung. Nach einigen hundert Metern mündete die Straße in eine mit vielen Schlaglöchern besäte, zwar noch geteerte Piste. Louis zweifelte in diesen Sekunden stark daran, auf dem rechten Weg zu sein, doch etwas trieb ihn dazu an, nicht umzudrehen und weiterzufahren. Plötzlich erkannte er ein Hinweisschild am Wegrand, das auf einen Campingplatz wies. Für den Bruchteil einer Sekunde jubelte es in Louis, doch was bedeutete dieses Schild schon? Er fuhr weiter. Irgendwann war er in einer Sackgasse – sah geparkte Autos mit sämtlichen europäischen Kennzeichen und hielt an. Als er den Motor abgestellt hatte, umfing ihn eine erdrückende Stille. Der Campingplatz war vollkommen dunkel und ein Zaun schützte die Anlage rundherum. Louis überlegte, ob er irgendwie in das Areal gelangen und höflich jemand um Rat fragen sollte, doch ein Gefühl dafür, dass es nicht sein konnte, dass er bereits in Leas Nähe war, hielt ihn davon ab. So startete er den Roller und fuhr den Weg zurück bis zur Einbiegung der Straße; bog rechts ab, gab Gas und fuhr weiter in die Dunkelheit hinein. ‚Kokkini‘ stand irgendwann auf einem Schild, das beim genaueren Betrachten den Eindruck erweckte, sich wegzudrehen; aus Scham oder einfach nur um nicht gesehen zu werden. Dennoch; Louis entzifferte die kyrillischen Buchstaben und war froh darüber, auf der richtigen Fährte zu sein. Kokkini würde nicht mehr weit von Vatos entfernt sein. Endlich entdeckte er Licht in den Häusern; der Ort schien bei Tag gut belebt zu sein. Offenbar war die Küste auch nicht mehr weit, denn es gab einige Hinweise auf Pensionen oder kleine Hotels an der Straße entlang. Personen waren um diese Zeit allerdings keine unterwegs. Der Ort schien zu schlafen. Die Zeiger der Uhr hatten die 23.00 Uhr Markierung verlassen und Louis hielt an einer geschlossenen Tankstelle an, die bei Tag auch ein Café beherbergte. Hier brannte eine einsame Laterne. Er streckte sich und ging am Wegrand hin und her. Da vernahm er plötzlich ein Wagengeräusch und sah auch sogleich einen Lichtkegel auf sich zu kommen. Louis kam sich vor wie ein Verdurstender in der Sahara, dem endlich jemand zu Hilfe kam. Als der Wagen kurz vor ihm war und der Lichtkegel Louis erfasste, winkte Louis dem Fahrer, doch dieser fuhr in unverminderter Geschwindigkeit an ihm vorbei.
„Tja“, dachte Louis,
„das war ein Satz mit X: War wohl nix“, lächelte trotzdem darüber und startete den Roller. Louis fuhr bereits wieder eine ganze Weile und allmählich kam es ihm spanisch, beziehungsweise griechisch vor, denn der Karte nach, hätte er indes Vatos erreicht haben müssen. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn gleich darauf entdeckte er ein Schild, das den Namen Plakoto anzeigte und auch Glyfada lag auf der Route. Somit war er verkehrt gefahren. Irgendwo musste er zweifellos eine Abbiegung verpasst haben. Nun half alles nichts; er beschloss zurück zu fahren und konzentrierter zu suchen. Als er endlich am zuvor übersehenen Hinweisschild stand war Mitternacht vorbei. Und endlich war Ermones angeschrieben. So konnte dieses verflixte Vatos doch nicht weit sein. Louis fuhr langsam, um ja keinen Hinweis zu verpassen. Zum Kuckuck … bei Nacht sieht die Welt überall gleich aus; so gut wie nichts ist voneinander richtig zu unterscheiden. Gerade in Landschaften wie Louis sie vorfand, vermittelten ihm das Gefühl, die ganze Zeit nur im Kreis zu fahren. Nun endlich machte der Wald vor ihm den Vorhang auf und Louis sah zwar nicht viel mehr, merkte jedoch, dass vor ihm unmittelbar das Meer sein musste. Und wenn er nicht total verkehrt war, so musste dies wenigstens der Strand von Ermones sein. Tatsächlich war er in Ermones angelangt. Ein Küstenstädtchen, um diese Zeit ebenso in tiefen Schlaf gehüllt, wie Dornröschen es nicht hätte steigern können. Louis fuhr geradewegs hinunter, um ans Wasser zu gelangen. Als es unter den Rädern sandig wurde, hielt er an und stellte den Motor aus, schob den Roller zu einem Baum und lehnte ihn an. Im lauen Nachtlicht konnte er einen breiten Sandstrand erkennen. Eine Bretterbude oder etwas Ähnliches; wahrscheinlich die üblichen Hütten für die Bootsverleiher oder Aufbewahrungsort für Liegestühle. Unweit vom Roller setzte Louis sich in den Sand und lauschte dem Meer. Es hörte sich wunderbar an, in dieser Einsamkeit. Er fühlte sich, als wäre er nach langem Treiben auf
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