Herzüberkopf (German Edition)
waren sie bestens ausgerüstet. In Sichtweite tauchte ein, wie es schien, uraltes Gebäude mit bröckelndem Gemäuer auf; eine ebenso zerfallende Mauer diente als Einfriedung. Als sie auf dem staubigen Platz davor den Roller parkten, stellten sie fest, dass sie auf einem Friedhof angelangt waren, der, wie es den Eindruck machte, schon seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Eine zerfallende Hütte am Saum der Anlage, zeugte auf Umtrieb und als Lea und Louis näher traten, meckerte eine Ziege aus dem Schatten eines prächtigen alten Pinien-Baumes. Eine weitere Ziege graste bei einigen umgefallenen Grabmonumenten und schaute neugierig auf die Ankömmlinge. Leise sang der warme Wind auf dieser Höhe und etwas abseits der zerfallenen Gräber, auf einem Mauersockel unter einem Baum, breiteten sie die Decke aus und tauchten ein, in diese Stimmung des Friedens an jenem Ort. Die Einsamkeit auf dieser Höhe hatte etwas Freies, das sogleich die Seele atmen ließ. Sie waren glücklich darüber, die eigentliche Ausfahrt zum Berg hinauf zuvor verpasst zu haben, da sie ansonsten diesen Ort der Stille nicht entdeckt hätten. Während sie ihr Picknick-Mahl zu sich nahmen, gesellten sich zwei Ziegen zu ihnen und hätten wohl gern am Fest teilgenommen, wenn sie nicht rechtzeitig von einem alten Mann ohne Zähne und in einfachster Bauernkleidung, der plötzlich aus dem Nichts heraus auftauchte, verscheucht worden wären. Der Alte schien an dem Ort zu leben – er passte in seiner ganzen Statur genau in diese Umgebung und spiegelte wie die bröckelnde Mauer und die alten knorrigen Bäume, sowohl das Wetter als auch die Entbehrungen dieses Lebens auf dieser derben Anhöhe wider. Jedoch spielte in seinen Augen und um seine faltigen Mundwinkel eine unablässige Freundlichkeit und Zufriedenheit, gepaart mit einer derart flinken Aufmerksamkeit, einen ständigen Schlagabtausch. Er trat auf Lea und Louis zu und hob dabei seinen ebenso alt aussehenden und mittlerweile völlig durchlöcherten Strohhut zum Gruß. Dabei redete er zunächst mit den Ziegen, die sich gutmütig von ihm vertreiben ließen, um sich dann in gleichem Ton an die willkommenen Besucher zu richten. Verstehen konnten weder Lea noch Louis irgendein Wort des Alten. Lediglich die Melodie seiner Sprache vermittelte Heiterkeit und Freude. Lea und Louis hatten sich beim Besuch der Ziegen bereits auf die Mauer verzogen und saßen mit baumelnden Beinen da. Der Alte gestikulierte mit seinen dünnen wie Leder gegerbten Armen, zeigte mal zu den Ziegen, mal zu den verwitterten Grabmälern, während er in einem Schwall drauflos redete. Louis zweifelte daran, dass selbst ein Grieche den Alten verstanden hätte. Flinke Äugelein blitzten aus dem Gesicht des Mannes und nun gab er mit Armen und Händen gestikulierend das Zeichen, dass sie warten sollten und verzog er sich hurtig in seine Hütte, die Lea und Louis zuvor nicht wahrgenommen hatten, so versteckt war sie in das ruinenartige Mauerwerk dieser Anlage eingelassen. Der Alte kehrte mit drei einfachen Holzschalen zurück. Zwei davon enthielten Milch – frische Ziegenmilch; Louis erkannte diesen eigentümlichen Geruch sofort. Lea schaute ihn irritiert an, während der Alte ihnen mit viel Gestik bedeutete, dieses wertvolle Getränk rasch zu trinken. Dabei hielt er ihnen freudestrahlend die andere Schale hin, die frische Oliven feilbot. Weil Lea und auch Louis nicht gleich herzhaft zulangten, drängte der Alte und hielt die Oliven immer höher in Reichweite ihrer Köpfe. Es war ein eigentümliches Bild wie der Alte, beinahe einem Priester gleich, der in ernst und streng wirkender, zugleich auch heitere Mimik um die Augenwinkel herum, durch die übertrieben dargestellte Abfolge, die Gabenverteilung zelebrierte. Lea machte ein Gesicht wie Louis es noch nie bei ihr gesehen hatte, als sie die Schale betrachtete, an der sie gezwungenermaßen wenigstens nippen sollte. Und dabei schaute sie suchend in die Runde, als ob sie sich fragte, wo oder ob es überhaupt hier auf dem Berg irgendwo Wasser gab, denn die Holzschalen sahen nicht danach aus, als wären sie jemals zur Reinigung in Wasser getaucht, sondern allenfalls mit einem Tuch oder nur mit Händen ausgerieben worden. Louis hatte selber zu kämpfen – jedoch die Situation ließ beide spüren, dass sie die Seele des Alten tief beleidigt hätten, wenn sie die dargebotenen Reichtümer ablehnten. Beim ersten Schluck würgte es Louis und auch Lea schnürte es die Kehle zu, als sie mit großen
Weitere Kostenlose Bücher