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Hesmats Flucht

Titel: Hesmats Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Boehmer
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ihrem Mann zusammen verließ. Er sah sogar Frauen, die selbst mit dem Auto fuhren. Überall gab es Frauen, die sich verhielten, wie es ihnen gefiel, und niemand jagte sie deswegen mit Ruten. Sie saßen, die Füße übereinandergeschlagen, auf den Bänken, rauchten Zigaretten und formten Kaugummiblasen, die sie schließlich unter lautem Gelächter zerplatzen ließen.
    »Was starrst du so, Kleiner?«, hatten sie ihm nachgerufen und gelacht. Er hatte sich geschämt und war mit hochrotem Kopf davongelaufen.

    Stundenlang saß Hesmat auf der Straße und sah einfach den Menschen zu, wie sie durch die Stadt liefen. Er starrte die sauber geputzten Autos an, die so neu aussahen, als wären sie erst vor ein paar Stunden ausgepackt worden. Er kam sich vor wie ein Wilder, der sich aus dem Wald in eine fremde Welt verlaufen hatte und der ständig von neuen, fremden Geräuschen erschreckt wurde.
    »Verdammt, Hesmat, hör auf zu träumen!«, schimpfte Fahid. »Du musst dich benehmen wie alle anderen auch. So fällst du nur auf und die Polizei nimmt dich noch mit.«
    Hesmat gab sich Mühe, aber trotzdem lief er wie ein ferngesteuerter Roboter. Hanif, Fahids Onkel, hatte ihm erklärt, er könne sich frei bewegen, solange er nicht auffiel und solange Fahid mit ihm unterwegs war. »Du musst immer aussehen, als hättest du ein Ziel und müsstest so schnell wie möglich dorthin«, hatte er erklärt. »Du darfst machen, was du willst. Solange du nicht aussiehst wie ein Landstreicher, der zum ersten Mal in der Stadt ist, hast du auch Ruhe vor der Polizei. Schlimmer sind die Menschenhändler, die hier nach Jungen wie dir suchen. Bei der Polizei kann man immer was drehen, aber wenn dich die Händler erwischen, ist es vorbei. Da bist du schneller weg, als du deinen Namen sagen kannst.« Hanif war immer in Sorge um die Jungen, und erst als seine Frau erklärte, dass man sie nicht ständig im Haus einsperren könne, ließ er sie in die Stadt gehen.
    »Es wird schon nichts passieren«, sagte sie und beruhigte ihren Mann, als sie mit Hesmat zum ersten Mal in die Stadt fuhr und ihm eine neue Hose und zwei T-Shirts kaufte. Als er auch den Friseur hinter sich hatte, war sie zufrieden. »Jetzt siehst du wieder wie ein Junge aus«, sagte sie und strich ihm über die frisch gewaschenen kurzen Haare. Es war das erste Mal, dass ihn eine andere Frau als seine Mutter so berührte,
und er schreckte zurück. Mit ihrer Berührung kamen die Erinnerungen.
    »Schau dich an! Schau, wie du aussiehst!«, hatte seine Mutter immer gerufen, wenn er vom Spielen dreckig und mit aufgeschlagenen Knien nach Hause gekommen war. Sauberkeit war ihr wichtig, erinnerte sich Hesmat. Jeden Tag, wenn Hesmat von der Schule kam, stand sie in der Tür und schüttelte den Kopf. »So kommst du mir nicht ins Haus!«
    Fahids Tante zog ihre Hand zurück, als sie Hesmats Zögern und seine Unsicherheit spürte. Sie war geschockt gewesen, als die beiden Jungen vor einer Woche vor ihrer Tür gestanden waren. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihren Neffen je wiedersehen würde, und dann war er plötzlich vollkommen verdreckt und halb verhungert mit seinem afghanischen Freund bei ihnen aufgetaucht.
    Hesmat konnte nicht schlafen. Die saubere Bettwäsche, der Geruch von Rosen machten ihm zu schaffen. Erst als er sich auf den Boden legte, wurde es besser. Seine Füße schmerzten wieder, aber sein voller Bauch ließ ihn alle Schmerzen vergessen.
    Zusammen mit den zwei Männern, die sie an der Grenze getroffen hatten, waren sie die ganze Nacht lang gelaufen. Als sie nach einer kurzen Pause im Morgengrauen erwachten, waren die beiden Männer verschwunden gewesen. Fahid wollte sich auf ihr Glück verlassen und marschierte los, ohne lange zu überlegen. »Was sollen wir warten?«, sagte er. »Da hinten ist Afghanistan. Duschanbe muss irgendwo da vorne liegen. Ganz einfach. Lass uns gehen.«
    Er leistete auch keinen Widerstand, als Fahid den geparkten Lastwagen sah und nicht lange zögerte.
    »Wohin soll er schon fahren?«, sagte er. »Willst du warten und hier verrecken?«

    Sie versteckten sich im rostigen, engen Unterbau des schwankenden Ungetüms und erstickten beinahe am Staub, den die Reifen aufwirbelten. Immer wieder blieb der Lastwagen stehen, um Kisten an den Straßenrand zu stellen und neue Kisten aufzunehmen. Immer wieder hörten sie, wie der Fahrer sich mit Leuten am Straßenrand unterhielt. Sie bekamen ihn kein einziges Mal zu Gesicht. Aus ihrem Versteck konnten sie nur seine Füße

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