Hesse-ABC
Men-
schen, denen er sich verbunden fühlt, sucht er das Gespräch. Es
ist eine von Hesses Grundüberzeugungen, daß wir nur im Zustan-
de der Innigkeit überhaupt zu verstehen vermögen. Für ein frucht-
bringendes Gespräch – dem Pantheisten Hesse schließt das die
stumme Zwiesprache mit der Natur ein – müssen wir lieben und
uns geliebt wissen. So beginnt Verstehen schon lange, bevor das
erste Wort ausgesprochen ist.
Glasperlenspiel
Was das »Glasperlenspiel« eigentlich ist, um das es in Hesses
Hauptwerk geht, wissen wir so genau nicht. Sicher scheint, daß es
sich um eine Geheimsprache handelt, die nur die Eingeweihten,
die vom Orden der Glasperlenspieler Erzogenen, beherrschen.
Ein Spiel für Mystiker also, die sich bei den Künsten, Wissenschaf-
ten und Religionen aller Zeiten freizügig bedienen. Die sich von
der Musik, jener Harmonie, die den Rhythmus der Welt bestimmt,
geleitet wissen. Ein Spiel schließlich, wie Manfred Hausmann
schreibt, »mit sämtlichen Werten und Inhalten der Kultur, eine
Unio mystica aller getrennten Glieder der Universitas Litterarum«.
Ein Werk, im geschichtlichen Niemandsland angesiedelt, im Rück-
blick aus dem 22. aufs 20. Jahrhundert geschrieben: weniger Uto-
pie, mehr Science-fiction.
Die Geschichte des Magisters Ludi Josef Knecht, samt dem An-
hang dreier Lebensläufe von ihm aus verschiedenen Zeitaltern,
die man als Zyklus der Wiedergeburten verstehen kann, beginnt
mit der Einleitung eines Schülers von Josef Knecht, geschrieben
lange nach dessen Tod. So liest sich das Buch ein wenig wie eine
Mischung aus Heiligenlegende und Traktat. Wir sollen mit jeder
Zeile belehrt werden, ja mehr noch: bekehrt. Abwenden sollen wir
uns vom »feuilletonistischen Zeitalter« und hinwenden zum die-
nenden Geist, den die »Glasperlenspieler« in ihrem Ordensstaate
Kastalien, einem platonischen Gebilde, pflegen. Soviel Belehrung
in der »pädagogischen Provinz« wird ein bißchen strapaziös. Zu-
mal hier statt Steppenwolf-Revolte immer nur Einordnung in die
Hierarchie gepredigt wird. Die 68er haben in ihrer Hesse-
Begeisterung das nur als einen besonders extremen LSD-Trip des
Autors erklären können, was aber gewiß nicht gemeint war. Daß
im »Glasperlenspiel« uns aus jedem Satz eine Belehrung entge-
genblickt, läßt das Buch sehr unsinnlich und abstrakt erscheinen.
Sehr papiern. Zumal auch die Theorie so konturlos-nebulös bleibt
wie das Konstrukt vom kastalischen Glasperlenspiel. Man begreift
zwar die elitäre Absicht, die Welt mittels Geist von sich selbst zu
erlösen, aber das scheint dann doch den pietistischen Erbauungs-
büchern des Vaters Johannes Hesse unerwartet ähnlich.
Ernst Robert Curtius, der sich sehr spöttisch über Hesses Gedichte
geäußert hat, findet für das »Glasperlenspiel« jedoch nur Töne
höchster Bewunderung. Bei ihm und anderen Interpreten stößt
man auf ein merkwürdiges Phänomen. Die Absicht des »Glasper-
lenspiels«, seine Motive, Bezüge und Struktur – alles wunderbar,
alles erklärbar. Hat man schließlich sämtliche tragenden und kei-
neswegs uninteressanten Gedanken beisammen, dann braucht
man, so hat es den Anschein, das Buch selber nicht mehr zu lesen.
Soviel hier auch vom Geheimnis die Rede ist; es bleibt Konstrukt,
Hesses Sprache erscheint hier auf umständliche Weise geheimnis-
los. Hier ist sie nicht sinnlich, nicht ironisch, nicht gespickt mit
überraschenden Geistesblitzen, kleinen amüsanten Nebenbemer-
kungen oder rasant-abgründigen Beobachtungen – alles wird hier
auf zähe Weise ernst: Wir haben teil an einer bewußt umständlich-
steif daherkommenden Verkündigung. Nicht mehr ein »Nur für
Verrückte!« wie im »Steppenwolf« sagt sie uns, sondern »Nur für
ins Ritual Eingeweihte!«. Das ist dann nicht mehr dasselbe. Das
»Glasperlenspiel«: kein Dokument der Krise, sondern der – ver-
meintlich – überwundenen Krise, einer geistigen Heilung.
Wäre man bösartig, könnte man sagen, daß dies die Art Literatur
sei, für die man Nobelpreise bekommt. Hans Mayer jedoch hat
erklärt, worin er die große Bedeutung des »Glasperlenspiels«
sieht: in seiner Signalwirkung für einen geistigen Aufbruch in
Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Insofern ist
das »Glasperlenspiel« einer dieser seltenen Texte, die in einer
bestimmten historischen Situation zu Wegweisern, ja zu Hoff-
nungsträgern werden: notwendige Texte. Mayer schreibt: »Ein
Jahr
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