Hesse-ABC
nächtlich herumschlägt, aber sich niemals in der modischen
Pose eines bloßen Weltverächters gefällt.
Mit Vehemenz, unter die sich unüberhörbar auch ein leiser Zug
von Wehmut mischt, hat Hugo Ball 1927 gesagt, Hermann Hesse
»sei der letzte Ritter aus dem glanzvollen Zuge der Romantik«. Er
verteidige deren Nachhut. Und dann doch der Blick nach vorn:
»Wird er sich plötzlich umdrehen, dieser Ritter, und eine neue
Front aufbieten?«
Viele neue Fronten, muß man heute sagen: bis hin zur 68er Revol-
te der Rockgruppe »Steppenwolf«. Antikapitalistische Proteste im
Westen oder raunende »Demian«-Lektüre im Osten; immer sitzt
irgendwo ein subversiver Stachel in Hesses Texten. Denn diese
sind von einem beinahe neurotischen Hang zur Unabhängigkeit.
Hesse entzieht sich jeder Institution. Aller Anflug von Machtan-
maßung peinigt ihn. Freiheitsberaubung! ruft hier sofort er-
schrocken der Künstler. »Was das Wort ›romantisch‹ eigentlich
bedeute, weiß niemand!« schreibt Hesse in seinem kleinen Text
»Romantik und Neuromantik«. So sehr Hesse das Thema des
Künstlers, die Geheimnisse des Schöpfertums im Gegensatz zum
ausrechenbaren Bürger in der Schwebe zu halten versteht – bis
hin zum stilisierten »Glasperlenspiel« –, so eindeutig ist er doch in
seinen politischen Schriften. Diese sind durchgängig antinationa-
listisch und pazifistisch. »Politik des Gewissens« heißen seine
Wortmeldungen zu Tagesfragen in zurückhaltendem Ton, aber von
entschiedener Haltung. Dieser Dichter also erscheint uns immer
gleichzeitig als aufgeklärter Romantiker und romantischer Aufklä-
rer. Darin zeigt sich seine Modernität, die mit dem Überkomme-
nen nicht vollständig brechen will. Wenn Hesse aus dem
Gedächtnis schöpft, dann wird ihm dieses zur unmittelbaren An-
schauung. Wenn er schaut, dann öffnet sich ihm das Gedächtnis.
»Romantik war unser Weg zur eigenen Vergangenheit«, heißt es
darum in seiner kleinen Schrift »Geist der Romantik«. Hesse er-
kennt in der mittelalterlichen Mystik Meister Eckharts einen ver-
wandten Geist. Dessen Mystik entdeckt auf dem Grunde des Ich
eine Welt. Die Unfähigkeit des Katholizismus aber, den geistig-
befreienden Impuls der Romantik aufzunehmen, bemerkt Hesse
sehr genau: »Man könnte wohl sagen, daß zu den größten Sünden
und Schwächen Roms die gehört, daß es im Grunde unfähig war,
die gewaltige Geisteswelle der deutschen Romantik aufzunehmen
und zu verewigen. Die Ausläufer der Romantik, vor allem Nietz-
sche, haben denn auch jeden Zusammenhang mit Rom wieder
verloren und gehen durchaus protestantische, trotzig einsame
Wege.«
Romantische Kunst will lebendige Form sein, steht damit aber
immer auch in der Gefahr, zur formlosen Form zu werden. Der
romantische Dichter sieht sich nur als für »Spiel und Traum«,
nicht für »Werk und Tat« begabt. Kunstwerke im strengen Sinne
zu schaffen, scheint so eigentlich unmöglich. Hesse, sich der
Grenzen einer nur romantischen Kunstauffassung zunehmend
bewußt, folgt dem Ideal eines fließenden Gleichgewichts zwischen
Klassik und Romantik, als gleichsam gegenseitigen Korrektiv ihrer
Vereinseitigungen: »Die Klassik wird zu Mumifizierung und Pedan-
terie neigen, wo sie schwach zu werden beginnt, umgekehrt wird
die Romantik, wo der heilige Enthusiasmus sie verläßt, zu Ver-
wahrlosung und trägem Sichtreibenlassen führen.« Und hier
kommt auch Indien ins Spiel. Das östliche Denken besitzt bei Hes-
se eine Vermittlungsfunktion für die Synthese von Klassik und
Romantik. Bisher war diese alle Separierung von Romantik und
Klassik überformende Kunst – als Schöpfungsliebe nur in Hölder-
lin zur (tragischen) Blüte gelangt. Möglich wurde dies, weil sich
Hölderlin in der Frage, an der sich die Geister des 19. Jahrhun-
derts zu scheiden begannen – wie stehe ich zu den Griechen? –,
am fruchtbarsten von den Fesseln altphilologischer Musealierung
löste. Da beginnt dann eine versunkene Götter-Welt wieder zu
leben. Nietzsche schließlich wird vollends den klassisch-
apollinischen Kunst-Knoten sprengen.
Hesses Klage über den Verlust des romantischen Erbes, sein Insi-
stieren auf den unverlierbaren Einzelnen und den heilenden Sinn
von Kunst, sie verhallt (abgesehen vom befreundeten Hugo Ball)
fast ungehört: »Ach Gott, was weiß unsere Zeit noch vom Geist
der Romantik! Diese kühne große Woge deutschen Geistes scheint
im Sande verlaufen, und das Wort
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