Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
Vom Netzwerk:
unsen-
    timental: »Daß die Sammler Falter töten, sie auf Nadeln spießen
    und präparieren, um sie möglichst schön und möglichst haltbar
    aufbewahren zu können, das wird seit der Zeit J.-J. Rousseaus
    häufig mit sentimentaler Gebärde als rohe Grausamkeit bezeich-
    net, und die Literatur zwischen 1750 und 1850 kennt außerdem als
    komische Pedantenfigur den Mann, der die Falter nur tot und auf
    Nadeln gespießt genießen und bewundern kann. Das war damals
    schon zum Teil Unsinn und ist es heute beinahe ganz.« Denn wie
    der Jäger muß der Sammler auch für den Bestand sorgen, er weiß
    um die Besonderheiten seines Sammelobjektes und vermittelt mit
    seinen Sammlungen Wissen. Aber das überzeugt nicht, denn Hes-
    se hat auf totes Wissen nie etwas gegeben. Die toten Sammelob-
    jekte bereiten ihm denn auch Unbehagen: »Die meisten farbigen
    Lebewesen, Tiere und Pflanzen, verlieren auch beim besten Präpa-
    rieren im Tode das Schönste.« Was ist es dann, was Hesse den
    Sammler sympathisch macht? Ja, ihn selbst auf seiner Südostasi-
    enreise zum Schmetterlingssammler werden läßt? Die Leiden-
    schaft, mit der er seinem auf obskure Weise geliebten
    Sammelobjekt nachstellt. Die Jagd ist mit Mühen und manchmal
    auch mit Gefahren verbunden. Die Erkenntnisjagd fordert den Ein-
    satz der ganzen Person – und ist immer doch einem Ordnungs-
    prinzip verpflichtet. Wo das ordnende Prinzip fehlt, wird aus der
    Jagdleidenschaft eine Sucht, die letztlich in manische Formen und
    in Selbstzerstörung mündet. Das Sammeln als erprobte Grenze
    der Leidenschaft zur Sucht: Das bekommt plötzlich Expeditions-
    charakter. Sammeln behält, wo es souverän betrieben wird, spie-
    lerische Züge. Der echte Sammler kennt den Rausch, aber ist ihm
    nicht verfallen. Das erfordert Charakterstärke. Sammeln schärft
    den Blick für die unterscheidende Nuance, für das kleine Einzelne.
    Abstraktionen kann man nicht sammeln. Sammeln ist ein Fest, das
    die Ordnung den Sinnen bereitet, die von der Jagd ausruhen.
    Sammeln fordert Geduld und die ständige Aufmerksamkeit des
    guten Beobachters. Das verbindet ihn mit dem Künstler. Der
    Sammler ist immer auf der Suche nach dem, was zur Vervoll-
    kommnung der Sammlung noch fehlt. In ihrer Vervollkommnung
    spiegelt sich für ihn das Eigene. All das bemerkt Hesse eher zufäl-
    lig mit Erstaunen und wachsender Bewunderung, als er zufällig in
    einem Hotel in Preda mitten in eine Tischgesellschaft gesetzter
    Herren gerät, die über nichts als über den Alpenbären sprechen.
    Ob er ihn schon gesehen habe, wird er gefragt. Verwirrt stutzt der
    Dichter, denn er weiß nichts von Bären in den Alpen. Bis er be-
    merkt, daß es sich um eine Entomologengesellschaft handelt, die
    allein des Alpenbären, lat. Flavia, wegen hier ist. »Preda besteht
    lediglich aus einem kleinen Stationsgebäude und zwei Gasthäu-
    sern, und in beiden Gasthäusern sitzen Entomologen. Schmetter-
    lingsnetze, Ätherfläschchen, Acetyllaternen stehen herum, auf
    jeder Matte flattert ein Netz, auf jedem Geröllfeld stehen ernste
    Männer und drehen Stein um Stein um, da die Flavia dort ihre Eier
    legt. Es sind Sammler da, die seit fünf oder mehr Jahren jeden
    Sommer kommen, manche haben von den seltenen Alpenschmet-
    terlingen schon dreißig und mehr Exemplare zusammengeräubert,
    andere sehen resigniert und nervös aus, denn sie suchen gewisse
    Falter schon seit Jahren vergebens.
    Es gibt ohne Zweifel unter ihnen Leute, mit denen im täglichen
    Leben angenehm zu verkehren wäre, aber hier auf dem Tummel-
    platz ihrer Leidenschaft werden sie fanatisch und unmöglich. Je-
    der lechzt nach Beute, jeder kontrolliert den anderen. Wer ein
    seltenes Tier erbeutet hat, gibt den Kollegen einen falschen Fund-
    ort an, weiß aber nicht, daß mindestens einer von ihnen ihm
    heimlich auf den Fersen war und sich den Ort gemerkt hat.«
    Auf seiner Indienreise 1911 begibt sich Hesse selbst auf Schmet-
    terlingsjagd, deren Fiasko er in der Reisenotiz »In Kandy« höchst
    selbstironisch schildert. Denn kaum tritt er mit dem Schmetter-
    lingsnetz vor die Tür seines Hotels, so wird er auch schon selber
    in dem Netz indischer Verkaufskunst gefangen. Überall sieht er
    nun seinen Schmetterlings-Verkäufer, an jeder Straßenecke, jeder
    Wegbiegung kommt er ihm lächelnd mit einem neuen Angebot
    entgegen, »... er kannte meine Zimmernummer im Hotel und die
    Zeit meiner Ausgänge und Mahlzeiten. Wartete ich morgens mit
    dem Ausgehen bis acht Uhr, so

Weitere Kostenlose Bücher