Hesse-ABC
unsen-
timental: »Daß die Sammler Falter töten, sie auf Nadeln spießen
und präparieren, um sie möglichst schön und möglichst haltbar
aufbewahren zu können, das wird seit der Zeit J.-J. Rousseaus
häufig mit sentimentaler Gebärde als rohe Grausamkeit bezeich-
net, und die Literatur zwischen 1750 und 1850 kennt außerdem als
komische Pedantenfigur den Mann, der die Falter nur tot und auf
Nadeln gespießt genießen und bewundern kann. Das war damals
schon zum Teil Unsinn und ist es heute beinahe ganz.« Denn wie
der Jäger muß der Sammler auch für den Bestand sorgen, er weiß
um die Besonderheiten seines Sammelobjektes und vermittelt mit
seinen Sammlungen Wissen. Aber das überzeugt nicht, denn Hes-
se hat auf totes Wissen nie etwas gegeben. Die toten Sammelob-
jekte bereiten ihm denn auch Unbehagen: »Die meisten farbigen
Lebewesen, Tiere und Pflanzen, verlieren auch beim besten Präpa-
rieren im Tode das Schönste.« Was ist es dann, was Hesse den
Sammler sympathisch macht? Ja, ihn selbst auf seiner Südostasi-
enreise zum Schmetterlingssammler werden läßt? Die Leiden-
schaft, mit der er seinem auf obskure Weise geliebten
Sammelobjekt nachstellt. Die Jagd ist mit Mühen und manchmal
auch mit Gefahren verbunden. Die Erkenntnisjagd fordert den Ein-
satz der ganzen Person – und ist immer doch einem Ordnungs-
prinzip verpflichtet. Wo das ordnende Prinzip fehlt, wird aus der
Jagdleidenschaft eine Sucht, die letztlich in manische Formen und
in Selbstzerstörung mündet. Das Sammeln als erprobte Grenze
der Leidenschaft zur Sucht: Das bekommt plötzlich Expeditions-
charakter. Sammeln behält, wo es souverän betrieben wird, spie-
lerische Züge. Der echte Sammler kennt den Rausch, aber ist ihm
nicht verfallen. Das erfordert Charakterstärke. Sammeln schärft
den Blick für die unterscheidende Nuance, für das kleine Einzelne.
Abstraktionen kann man nicht sammeln. Sammeln ist ein Fest, das
die Ordnung den Sinnen bereitet, die von der Jagd ausruhen.
Sammeln fordert Geduld und die ständige Aufmerksamkeit des
guten Beobachters. Das verbindet ihn mit dem Künstler. Der
Sammler ist immer auf der Suche nach dem, was zur Vervoll-
kommnung der Sammlung noch fehlt. In ihrer Vervollkommnung
spiegelt sich für ihn das Eigene. All das bemerkt Hesse eher zufäl-
lig mit Erstaunen und wachsender Bewunderung, als er zufällig in
einem Hotel in Preda mitten in eine Tischgesellschaft gesetzter
Herren gerät, die über nichts als über den Alpenbären sprechen.
Ob er ihn schon gesehen habe, wird er gefragt. Verwirrt stutzt der
Dichter, denn er weiß nichts von Bären in den Alpen. Bis er be-
merkt, daß es sich um eine Entomologengesellschaft handelt, die
allein des Alpenbären, lat. Flavia, wegen hier ist. »Preda besteht
lediglich aus einem kleinen Stationsgebäude und zwei Gasthäu-
sern, und in beiden Gasthäusern sitzen Entomologen. Schmetter-
lingsnetze, Ätherfläschchen, Acetyllaternen stehen herum, auf
jeder Matte flattert ein Netz, auf jedem Geröllfeld stehen ernste
Männer und drehen Stein um Stein um, da die Flavia dort ihre Eier
legt. Es sind Sammler da, die seit fünf oder mehr Jahren jeden
Sommer kommen, manche haben von den seltenen Alpenschmet-
terlingen schon dreißig und mehr Exemplare zusammengeräubert,
andere sehen resigniert und nervös aus, denn sie suchen gewisse
Falter schon seit Jahren vergebens.
Es gibt ohne Zweifel unter ihnen Leute, mit denen im täglichen
Leben angenehm zu verkehren wäre, aber hier auf dem Tummel-
platz ihrer Leidenschaft werden sie fanatisch und unmöglich. Je-
der lechzt nach Beute, jeder kontrolliert den anderen. Wer ein
seltenes Tier erbeutet hat, gibt den Kollegen einen falschen Fund-
ort an, weiß aber nicht, daß mindestens einer von ihnen ihm
heimlich auf den Fersen war und sich den Ort gemerkt hat.«
Auf seiner Indienreise 1911 begibt sich Hesse selbst auf Schmet-
terlingsjagd, deren Fiasko er in der Reisenotiz »In Kandy« höchst
selbstironisch schildert. Denn kaum tritt er mit dem Schmetter-
lingsnetz vor die Tür seines Hotels, so wird er auch schon selber
in dem Netz indischer Verkaufskunst gefangen. Überall sieht er
nun seinen Schmetterlings-Verkäufer, an jeder Straßenecke, jeder
Wegbiegung kommt er ihm lächelnd mit einem neuen Angebot
entgegen, »... er kannte meine Zimmernummer im Hotel und die
Zeit meiner Ausgänge und Mahlzeiten. Wartete ich morgens mit
dem Ausgehen bis acht Uhr, so
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