Hesse-ABC
Nietzsches Einsicht, daß Lachen inmitten
einer sich ritualienhaft zelebrierenden Vernunft zwar den Narren
zeigt, aber dieser Narr durchaus zum letzten Vernünftigen inmitten
einer irre gewordenen Welt zu avancieren vermag.
Rauchen
Viele private Fotos zeigen Hesse rauchend. In einer Umfrage über
das Rauchen aus dem Jahre 1918 hat er sich dazu geäußert. So oft
er sich das Rauchen auch abgewöhnte, das Bedürfnis danach ver-
ließ ihn nie. Hesse nennt es ein »schönes Laster«. Am liebsten
rauchte er ostindische Zigaretten oder italienische Zigarren, eine
Brissago, aber auch die berüchtigt-teerschwarze Toscani, die
schon gestandenen Brasil-Rauchern den Magen umdrehte.
Schweizer Zigarren mag Hesse dagegen nicht, das sind – mit Aus-
nahme der Walliser – für ihn sämtlich »Stumpen«.
Rauchen ist für Hesse eine Form der Freiheit, ein Stück rebellie-
render Genuß gegen die Norm: »Daß der Mensch besser täte,
nicht zu rauchen und sich solche Bedürfnisse nicht anzugewöh-
nen, das unterschreibe ich wie jeden schönen moralischen Satz
gerne. Wie der einzelne aber sich mit dem rauhen Leben abfindet,
und welche Tröstungen ihm dabei dienlich sind, ist eines jeden
eigene Sache.«
Ravenna
Hesse schrieb das ↑ Gedicht bereits im Sommer 1901. Und obwohl er noch mehr als sechzig Jahre lang, bis zum Vortag seines Todes,
Gedichte schrieb, wird dieses eine, inmitten der Flut von Ge-
brauchs- und Gelegenheitslyrik, wohl am längsten überdauern.
Was auch daran liegt, daß Hesse im Schreiben von Gedichten we-
niger die Kunstform als eine tägliche sprachrhythmische Entspan-
nungsübung sah. Daher der Volksliedton. »Ravenna« jedoch zeigt,
zumindest in seinem ersten Teil, eine für Hesses Gedichte eher
untypische Strenge und Verknappung. Hier gelingt in einer Au-
genblicksaufnahme das dauernde Porträt einer Stadt, in Worten
gezeichnet, die in Tiefen loten, in die ihr keine Interpretation rest-
los zu folgen vermöchte. Mit diesem einen Gedicht hat sich Hesse
als Meister moderner Lyrik bewiesen: »Ich bin auch in Ravenna
gewesen./Ist eine kleine tote Stadt,/Die Kirchen und viel Ruinen
hat, / Man kann davon in den Büchern lesen...«
Regenmacher
So nannte Hesses Sohn Martin die berühmten Gärtner-Fotos mit
Strohhut, die er von seinem Vater machte. Das Bild eines in sei-
nen Garten Exilierten, der die Welt mit andren Maßstäben mißt,
als sie sich gemeinhin gemessen wissen möchte. Daß es ein
strenger Maßstab ist, auch das zeigen uns diese Fotos: das Ge-
sicht voll Skepsis, Schmerz, vielleicht auch Kränkung – aber ge-
bändigt durch innere Ruhe und einen überlegenen,
durchdringenden Blick.
Reisen
Hesse ist ein langsam Reisender, seinem Naturell nach ein Wan-
derer, in dem der Wille zum Beharren mit der Sehnsucht nach
Ferne beständig im Kampf liegt: »Während es zum Beispiel heute
für eine Errungenschaft gilt, in einem Tage tausend und mehr Ki-
lometer mit der Eisenbahn zurücklegen zu können, halte ich es für
menschenunwürdig, länger als höchstens vier bis fünf Stunden in
einem fahrenden Eisenbahnwagen auszuhalten und brauche für
eine Reise eine Woche, die ein andrer in einem Tag und einer
Nacht zurücklegt. Für die Freunde, welche da und dort auf Reisen
meine Gastgeber sind, ist dies zuweilen einigermaßen lästig, denn
wenn es mir an einem Orte ein wenig wohl wird, pflege ich mich
gegen die Weiterreise, gegen das Packen, gegen das ganze häßli-
che und ermüdende Getue auf Bahnhöfen und in Eisenbahnen oft
mehrere Tage lang zu sträuben.« ( ↑ Nürnberger Reise)
Die Poesie des Reisens, schreibt Hesse 1904, liege im »organi-
schen Angliedern von Neuerworbenem ... im Wiederfinden von
alten Wahrheiten und Gesetzen unter ganz neuen Verhältnissen«.
Hesse ist hierin Stefan Zweig sehr nahe, der Reisen als Gegenteil
des touristischen Gereist-Werdens verstand: »Aber Reise soll Ver-
schwendung sein, Hingabe der Ordnung an den Zufall, des Tägli-
chen an das Außerordentliche, sie muß allerpersönlichste,
ureigenste Gestaltung unserer Neigung sein – wir wollen sie dar-
um verteidigen gegen die neue bureaukratische, maschinelle
Form des Massenwanderns, des Reisebetriebes.« (1926)
Nie ist Hesse Teil einer Reisegesellschaft gewesen, es sei denn
der einiger ausgesuchter Freunde. Immer hat er einem Ort die
Alltagspoesie abzulauschen versucht. Das Unterwegs-Sein ist der
Sinn des Reisens, die Sehnsucht nach Ferne soll sich in der
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