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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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Nähe
    des Fremden erfüllen, »so authentisch und unmittelbar wie mög-
    lich am eigenen Leib«.

    Revolver
    Später einmal wird Hesse ein überzeugter Pazifist sein. Als Ju-
    gendlicher aber führt er Krieg gegen die doktrinäre Väterwelt.
    Mehrmals erwirbt er einen Revolver. Ein schrilles Signal, im Stile
    des 68er Slogans: »Macht kaputt was Euch kaputtmacht!« Es sind
    pubertäre Insignien der Verzweiflung. Denn aus unglücklicher Lie-
    besschwärmerei spielt er mit dem Gedanken, sich zu erschießen.
    Als er sich schließlich von einem Gastwirt in Bad Boll 25 Mark für
    einen Revolver borgt, mit dem er sich zu erschießen ankündigt,
    bringen ihn die entsetzten Eltern in die Irrenanstalt nach ↑ Stetten.
    Dort schreibt er dann voll Wut erst einmal einen Brief an den Va-
    ter: »Sehr geehrter Herr! Da Sie sich so auffällig opferwillig zei-
    gen, darf ich Sie vielleicht um 7 M oder gleich um einen Revolver
    bitten. Nachdem Sie mich zur Verzweiflung gebracht, sind Sie
    doch wohl bereit, mich dieser und sich meiner rasch zu entledi-
    gen. Eigentlich hätte ich ja schon im Juni krepieren sollen...«
    Auch ein halbes Jahr später, im Januar 1893, auf dem Gymnasium
    in ↑ Cannstatt hält ihn der Weltekel fest umklammert. So daß er schließlich seine Schulbücher nimmt, sie in Stuttgart verkauft und
    sich – was wohl? – einen neuen Revolver zulegt.

    Rolland, Romain
    Hesse fühlt sich dem Autor von »Das Gewissen Europas« nah. Seit
    1915 stehen beide Autoren miteinander im Briefwechsel, es eint
    sie die Sorge um die kulturzerstörerischen Folgen des Weltkrie-
    ges. Krieg barbarisiert Denken. Propaganda und Ideologie treten
    an die Stelle des Geistes. Vernunft ist nicht mehr nicht gefragt,
    man erhitzt sich gern patriotisch. Rolland in seinem ersten Brief
    vom 26. Februar 1915 an Hesse: »Wir können die Raserei der Staa-
    ten nicht aufhalten; ich fürchte sogar, es wird noch entsetzlicher;
    die Völker können nicht sprechen; sie können kaum denken (man
    läßt ihnen weder die Zeit noch die Möglichkeit dazu). Um so mehr
    müssen wir zusammenstehen, wir alle, die wir uns angeekelt die-
    sem bestialischen Irrsinn verweigern und die wir die Aufgabe ha-
    ben, für die Zukunft die höhere Einheit europäischen Geistes zu
    bewahren.«
    Das völkische Wohlbefinden stört solch Außenseiterwiderspruch.
    »Nestbeschmutzer« und »vaterlandslose Gesellen« nennen die
    ewigen Untertanen diejenigen, die ihr Gewissen über Staatsloyali-
    tät stellen. Auch Rolland und Hesse wurden zu Haßobjekten der
    Nationalisten in ihren Ländern. Rückblickend auf diese Zeit
    schreibt Hesse über Rolland: »Ich weiß nicht, ob ich ohne seine
    Nähe und Kameradschaft jene Jahre überstanden hätte.«

    Romantik
    Romantiker ist, wer nicht an die Verwirklichung einer Idee in der
    Geschichte glaubt, der, im Gegenteil, die Ideen vor dem geistlos-
    gewalttätigen Zugriff der Geschichte zu schützen versucht, ihnen

darum tief in sich ein Refugium anbietet. Aber das gelingt auch
    nicht, denn da drinnen rumoren die Ideen weiter, wollen hinaus.
    Der Künstler gibt ihnen eine schöne Gestalt und hofft, sie damit
    befrieden zu können. Inmitten all der Schönheit jedoch beginnen
    sie sich zu langweilen und wollen mehr: ein anderes Leben. Das
    ist dann die Weltsicht des frühmorgendlichen Aufklärers, dem,
    sofern er gut geschlafen hat, der nächtlich verbummelte romanti-
    sche Traumreiter in sich selbst ein wenig peinlich erscheint. Aber
    nicht jeder Morgen ist dem Aufklärer gewogen, und selbst der
    weltzugewandteste Morgen hält nicht ewig. Alles Leben kreist in
    den Gegensätzen von Tag und Nacht, hellster Vernunft und dun-
    kelstem Trieb. Hesse weiß, er kann es nicht zwingen, er kann ihm
    nur eine Form zu geben versuchen, die nicht dem schönen Schein
    der Lüge aufsitzt. Darum spielt er mit ihr, der Lüge, ein wahres
    Spiel, in dem es blitzt und funkelt, dabei doch immer nur um eine
    Frage geht: Wie soll man leben inmitten der unabschaffbaren Lü-
    ge, wenn man die Wahrheit sucht?
    Ausgestattet mit der schwärmerisch-phantastischen Fabulierlust
    der Romantiker ist Hermann Hesse so doch immer auch das Ge-
    genteil eines Schwärmers: ein strenger und nüchterner Arbeiter.
    Einer, der mit unzügelbarem Eigensinn sich jeder politischen Par-
    teigängerei verweigert und gerade deshalb lebenslang ein zuver-
    lässiger Parteigänger des Humanen bleibt. Der um die Abgründe
    der modernen Seele weiß, weil er selbst sich mit ihnen täglich
    und

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