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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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Ausflüge ins ↑ Züricher
    Nachtleben zurück, in denen der tief Verzweifelte bei seinen
    Überwinterungsaufenthalten in Zürich Mitte der zwanziger Jahre
    das leichte Amüsierleben probierte. Nicht ohne – wenigstens lite-
    rarischen – Erfolg, wie der »Steppenwolf« zeigt.

    Schmähungen
    Hesse behielt sein (immer scharfkantigabgründiges) Schwärmer-
    tum allein der Kunst vor. Gerade deswegen nannte er alle Kriegs-
    euphorie obszön. Bei den Nazis hieß es: »Der deutsche Dichter
    Hermann Hesse übernimmt die volksverräterische Rolle der jüdi-
    schen Kritik von gestern. Den Juden und Kulturbolschewiken zu-
    liebe hilft er im Auslande falsche, sein Vaterland schädigende
    Vorstellungen verbreiten.« So fühlte er sich in der Schweiz, in die
    er 1912 übergesiedelt war, sehr schnell als Emigrant aus einem
    häßlich und gemein gewordenen Deutschland. Ein Schwall von
    Schmähungen ergoß sich über den pazifistischen Dichter: »Ein
    ›deutscher‹ Dichter. Schamröte muß geradezu jedem ehrlichen
    Deutschen ins Gesicht steigen, wenn er in dieser größten Not des
    Vaterlandes, da ältere deutsche Dichter wie Dehmel, Bloem, Löns
    mit der Waffe in der Hand für ihr Vaterland eintreten und ihr Blut
    freudig hingeben, hört, daß ein bis dahin gefeierter deutscher ›Rit-
    ter des Geistes‹ sich noch brüstet mit seiner Drückebergerei und
    schlauen Feigheit und sich geradezu lustig macht darüber, wie es
    ihm gelungen ist, seinem Vaterlande und seinen Gesetzen in die-
    ser großen Zeit ein Schnippchen zu schlagen.« (Kölner Tageblatt,
    24.10.1915) Der Verdammungston bleibt auch in der Weimarer
    Republik derselbe. Hesse wird von den Avantgardisten weiter als
    bloßer Innerlichkeitsromantiker des 19. Jahrhunderts abgetan.
    Den Parteigängern der Politik gilt er als skandalös unpolitisch, den
    Nationalisten in seiner Geringschätzung der Grenzen als Nestbe-
    schmutzer, den Fortschrittlichen als konservativ, den Konservati-
    ven als fortschrittlich. Kurz: ein freier Geist, höchst unbequem
    zwischen allen Stühlen – und gar nicht anderswo sein wollend.

    Schmetterlinge
    Sie scheinen reiner zärtlicher Schöpferwollust entsprungen:
    Schönheit als Selbstzweck. Dafür hat der Dichter viel Sinn. Schön-
    heit ist die Schönheit des Augenblicks, der die Vergänglichkeit
    vergessen läßt. Und der Schmetterling in all seiner Künstlichkeit
    bleibt höchst verletzlich ein flüchtiges Produkt der Natur. Die Ana-
    logie zum Wesen des Künstlers bemerke, wer sie bemerken will.
    Jeder Schmetterling trägt aber auch ein Memento mori ganz fe-
    derleicht zwischen seinen Flügeln: Zeit ist Frist. Die Transparenz
    der Schmetterlinge schließt die Kluft zwischen Kunst und Natur:
    einen verwandelnden Moment lang. Der Schmetterling sei die
    »festliche, die hochzeitliche, zugleich schöpferische und sterbens-
    bereite Form jenes Tieres, das vorher schlafende Puppe, und vor
    der Puppe gefräßige Raupe war«.
    Schmetterlinge lieben Brennesseln, sie nähren sich von den un-
    würdigen Pflanzen am Wegesrand. Wo es sie nicht mehr gibt,
    stirbt auch die fragile Schönheit. Hesse nennt die Schmetterlinge
    Wappentiere der Seele und meint den flüchtigen Moment, der tief
    wurzeln muß, um Folgen zu haben. Hesse folgt hier Aristoteles,
    der sagte, alle Erkenntnis beginne mit dem Staunen, daß die Din-
    ge so sind wie sie sind und nicht anders. Weil sie ja tatsächlich
    jeden Moment anders sein können, anders sein werden, wie Hera-
    klit wußte. Dem Augenblick Dauer zu verleihen, ist so die vergeb-
    lichste Sehnsucht aller Erkenntnis.
    Dieser Erkenntniswille manifestiert sich auf eine sehr besondere
    Art auch in der Spezies des Schmetterlingssammlers. Für solcher-
    art Jagd- und Sammelleidenschaft bringt Hesse erstaunlich viel
    Verständnis auf. Erstaunlich ist das, weil das bildungsbürgerliche
    Anlegen von Sammlungen auf den ersten Blick eher untypisch für
    Hesse erscheint. Der systematische Ordnungsbegriff des Samm-
    lers muß den Romantiker befremden. Was ist die tote Hülle gegen
    den lebendigen Geist? Der Sammler gibt den Dingen ganz selbst-
    verständlich einen Namen und einen Ort. Er glaubt an die Bestän-
    digkeit der Dinge, sonst würde er sie nicht sammeln. Er ist seinem
    Wesen nach konservativ, denn er will bewahren. Das Leben aber
    in seinen ständigen Metamorphosen läßt sich nicht sammeln. Wir
    müssen die Schmetterlinge erst aufspießen, damit sie über ihren
    Tod hinaus schön bleiben. In diesem Punkt ist Hesse ganz

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