Hesse-ABC
kalte druck-
ähnliche Maschinenschrift, die schon fast wie ein Korrekturbogen
wirkt, sieht einen streng, kritisch, ja ironisch und nahezu feindse-
lig an, ist schon etwas Fremdes, Beurteilbares geworden.« Das
Schreiben auf der Maschine bringt das Geschriebene in eine Di-
stanz, ist die Grunderfahrung dabei. Darum wird ihm seine
Schreibmaschine zum unentbehrlichen Arbeitsutensil, darin Nietz-
sche gleich, der sich jedoch mit einem noch weit rückständigeren
und störanfälligeren Modell arrangieren mußte. Hesse ist stolz auf
seine Schreibmaschine, über die er 1927 schreibt, sie hätte würdig
und rührend wie eine alte Lokomotive da gestanden, »zu einem
Spottpreis feilgeboten, von jedem Lehrling belächelt. Sie, die einst
Triumph und letzter Schrei der Technik gewesen war.«
Seelenbiographien
»Beinahe alle Prosadichtungen, die ich geschrieben habe, sind
Seelenbiographien, in allen handelt es sich nicht um Geschichten,
Verwicklungen und Spannungen, sondern sie sind im Grunde Mo-
nologe, in denen eine einzige Person, eben jene mythische Figur,
in ihren Beziehungen zur Welt und zum eigenen Ich betrachtet
wird.« (1928)
Selbstmord
Wie ernst gemeint Hesses Selbstmordversuch am 20. Juni 1892 in
Bad Boll war, der zu seiner Einlieferung in die Irrenanstalt nach
↑ Stetten führte, sei dahingestellt. Sehr ernst ist es ihm mit dem Gedanken, sich selbst zu töten, jedoch Mitte der zwanziger Jahre,
als ihn der ↑ Ekel v or dem Leben gefangenhält. Am 1. April 1925
schreibt er an Emmy und Hugo ↑ Ball: »Ic h war eine Weile ziemlich verzweifelt und mochte nicht mehr leben. Aber dann fand ich einen Ausweg. Ich nahm mir vor, daß ich an meinem 50. Geburts-
tag, in zwei Jahren, das Recht haben werde mich aufzuhängen,
falls ich es dann noch wünsche – und jetzt hat alles, was mir
schwer fiel, ein etwas anderes Gesicht bekommen, da es ja auch
im bösesten Fall bloß noch zwei Jahre dauern kann.« Und am 19.
Dezember 1925 schreibt er, immer noch in der gleichen depressi-
ven Stimmung, an Max Thomann: »Wenn man mit dem Leben
fertig ist, und nur noch den Ast sieht, an dem man sich aufhängen
wird, macht es einem doch Freude, wenn man sieht, daß man
noch Freunde hat.«
Der ↑ » Steppenwolf « und die »Krisis«-Gedichte werden schließlich zum Blick in den Spiegel eines potentiellen Selbstmörders.
Siddhartha
Anfang August 1920 erscheint ein Vorabdruck unter dem Titel »Bei
den Asketen« in der »Neuen Zürcher Zeitung«. Dann stockt die
Niederschrift für eineinhalb Jahre, erst 1922 erscheint das Buch.
Den ersten Teil widmet Hesse Romain ↑ Rolland, den zw eiten seinem Vetter in Japan, Wilhelm Gundert.
Das Krisenjahr 1920 lahmt Hesse, er ist depressiv, fühlt sich leer
und schuldig am Scheitern seiner Ehe mit Maria Bernoulli. So be-
ginnt er ein Tagebuch zu schreiben, seine Träume aufzuzeichnen –
und wartet, daß Siddhartha in ihm eine Metamorphose durchläuft.
Siddharthas Selbsterkenntnis, das »amor fati«, reift auch in Hesse
heran. Das ist auch der Punkt, an dem Siddhartha seinen Weg der
Selbstverwandlung beginnt: »... alles stank, alles stank nach Lüge,
alles täuschte Sinn und Glück und Schönheit vor, und alles war
uneingestandene Verwesung. Bitter schmeckte die Welt. Qual war
das Leben.« Siddharthas Weg ist der Weg vom Ich zum Über-Ich:
Selbstverlust und – unter Schmerzen – das Wiederfinden des
Selbst als Teil einer höheren Ordnung. Siddharthas Weg wird zum
Weg eines Außenseiters. Er findet die Wahrheit in dem Moment,
als er aufhört sie zu suchen: »Nein, keine Lehre konnte ein wahr-
haft Suchender annehmen, einer, der wahrhaft finden wollte. Der
aber, der gefunden hat, der konnte jede, jede Lehre gutheißen,
jeden Weg, jedes Ziel, ihn trennte nichts mehr von all den tausend
anderen, welche im Ewigen lebten, welche das Göttliche atme-
ten.« Am Ende wird Siddhartha wieder das, was der Autor Hesse
bereits am Anfang war: ein Hörender, ein »Lauscher, ganz ins Zu-
hören vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fühlte, daß er nun
das Lauschen zu Ende gelernt habe«. Wohl nicht zufällig bringt
Hesse hier den Namen »Lauscher« ins Spiel. Denn »Hermann
↑ Lauscher «, der Erstling von 1901, er steht in all seiner ästhetischen Klarheit und Reinheit wie ein verlorenes Paradies im Raum.
Hesse hat sich von seinen schriftstellerischen Anfängen nach dem
Ersten Weltkrieg zunehmend distanziert. Und dennoch: Die Gestalt
Lauschers
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