Hesse-ABC
Professor)
verwandte. Der Literaturkritiker Friedrich Sieburg jedoch fiel nicht
unter die persönliche Amnestie Hesses. Als Sieburg von Peter
Suhrkamp zum Mitglied des Karlsruher Preisrichterkuratoriums für
den Hermann-Hesse-Preis vorgeschlagen wurde, reagierte der
Dichter harsch auf das Ansinnen seines Verlegers, einen »promi-
nenten Nationalsozialisten« zu berufen: »Ich stelle nun den An-
trag, daß Sie entweder Professor Sieburg zum Rücktritt
veranlassen oder Ihrem Preis einen anderen Namen geben.« Da-
bei hatte Sieburg durchaus Aufschließendes über Hesses Stellung
in der modernen europäischen Literatur zu sagen: »Es ist schwer,
sich nicht an Marcel Proust erinnert zu fühlen. Allerdings sucht
Hesse auf andere Art als der Franzose. Was er aus dem frühen
Dunkel aufruft, ordnet und deutet, sind Bedrängungen, die fast
immer ans Moralische streifen und das wertende Bewußtsein vor
die Not der Entscheidung stellen, während Proust das bloße Le-
bensgefühl gleichsam wertfrei aus den Dämmerungen des Unter-
bewußtseins heraufzuholen trachtet.«
Sils-Maria
Hier verbringt Hesse alljährlich die Sommer von 1949 bis 1961.
Auf der Flucht. Vor der Tessiner Sommerhitze und dem massen-
haften Ansturm deutscher Urlauber in Lugano, von denen viele
auf die Hesse schier zur Verzweiflung bringende Idee kommen,
den Dichter in Montagnola zu besuchen ( ↑ Bitte keine Besuche).
Sommer
Wenn es eine Hesse-Jahreszeit gibt, dann diese. Er sei bereit, sich
von der Sonne »fertig kochen zu lassen«, ruft er jedem Sommer
neu entgegen. Diese Zeit der Überreife liebt Hesse. Der Juli ist
ihm Entschädigung für viele durchfrorene Winter, am Bodensee
und auch in der schlecht beheizbaren Casa Camuzzi in Montagno-
la. Ein Sommer aber überragt sie alle. Der des Jahres 1919. Im
Frühjahr war er mit nichts als einigen Bücherkisten, ein »abgeris-
sener kleiner Literat«, aus Bern ins südliche Tessin geflüchtet, mit
keinem geringeren Anspruch als dem, ein neues Leben zu begin-
nen. Dieser erste südliche Sommer ist eine einzige Sonnenorgie.
Es entstehen »Klingsors letzter Sommer«, »Klein und Wagner«,
»Wanderung« – nicht als anti-, sondern überbürgerliches Dichter-
credo: »Ich bin fleißig wie ein preußischer Industrieller mit Malen
und Schreiben, daß es nur so raucht. Ich habe das Gefühl, diesen
Sommer und Herbst bis auf die letzte Beere und die letzte Stunde
auspressen zu müssen zu einem guten Wein.«
Sonnenbrüder
Der Dichter, der sich in Gaienhofen bürgerlich zu befestigen be-
ginnt, blickt doch immer sehnsüchtiger in die Ferne. So sehr er die
Sicherheit sucht, in dem Maße, wie er sie erreicht, wird sie ihm
lästig. Die reine Natur, die er in seiner ländlichen Existenz zu fin-
den hoffte, aber entpuppt sich für ihn als andere Art der gehaßten
Philisterei. Daran, ein Familienvater mit Haus und Garten, festem
Schreibtisch, sogar einem kleinen Weinkeller zu sein, kann er sich
nicht gewöhnen. Er beginnt sich für radikalere Formen der
Naturanbetung zu interessieren, für sektenhafte Vegetarier ver-
schiedener Observanz, Okkultisten, Wandervögel, Gesundbeter
und Anhänger der Freikörperkultur ( ↑ Nacktklettern ). Im Frühjahr 1906 zieht eine Gruppe dieser frühen Aussteiger durch Gaienhofen. Mit langen Haaren, wenig bekleidet und das wenige selbst-
gemacht. Sie nennen sich »Sonnenbrüder« und wandern zum
Monte Veritá, dem Berg der Wahrheit, bei Ascona. Hesse ist be-
eindruckt, überlegt nur kurz – und schließt sich ihnen an.
Die Kolonie der »Naturmenschen« am Monte Veritá wurde vom
belgischen Millionär Henri Oedenkoven gegründet. Man will au-
ßerhalb der Zivilisation leben. Männer haben Bärte und Frauen
tragen weiße Kleider mit Blumen im Haar. Hier erlebt Hesse be-
reits die Jugendkultur, die sich über die Hippie-Bewegung in den
USA der Sechziger ausbreiten wird – Hermann Hesse als einen
ihrer Apostel dabei auf den Lippen tragend. Zuerst war Hesse
auch begeistert von dieser außergewöhnlichen Lebensform. Er
unterzieht sich in der Kolonie von Monte Veritá einer »Kur«, die
darin besteht, nackt, nur mit einer Decke ausgestattet, in einer
Hütte zu hausen und sich dabei allein von Wasser und Beeren zu
ernähren. Als er nach einigen Wochen zu Frau und Kind nach Gai-
enhofen zurückkehrt, ist er abgemagert und reizbar. So ganz vege-
tarisch, ohne Kaffee, Wein, Tabak verliert er an Kräften und jede
Arbeitsenergie. Später
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